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"Demokratie ist ein ständiger Verhandlungsprozess" - Im Interview mit Nina Schnider

Nina Schniders Vision von der Zukunft ist eine engagierte Gesellschaft, die gemeinsam Zukunft gestaltet. Die gebürtige Schweizerin und langjährige Projekt-, Kommunikations- und Kampagnenmanagerin ist Mitgründerin von mehreren demokratiepolitischen Plattformen und Initiativen wie Österreich entscheidet, Demokratie21 und Faktor D sowie u.a. Herausgeberin von relevant., einer Plattform für lösungsorientierten Journalismus.

Im Interview mit Elevate stellt sie ihre Organisationen vor, spricht über den Dialog mit Andersdenkenden als Kern der Demokratie und erläutert die Ziele des kritisch-konstruktiven Journalismus.

Du bist Mitgründerin von gleich drei Organisationen, die sich alle in irgendeiner Form für die Gestaltung des Miteinanders und die Stärkung von Demokratie einsetzen. Kannst du die drei Projekte kurz vorstellen? 

Gerne! Demokratie21 ist eine unabhängige gemeinnützige Initiative. Wir arbeiten parteiübergreifend und kooperativ, um die verschiedensten Ansichten, Disziplinen und Sektoren an einen Tisch zu bringen. Demokratie21 ist als Veranstalter, Podcast-Produzent und Labor für öffentliche Institutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen aktiv. https://demokratie21.at/

Demokratie21 ist der österreichische Träger von Faktor D – dem Hub für Demokratie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wir organisieren eine strategische und koordinierte Zusammenarbeit der demokratischen Akteurinnen und Akteure, um gemeinsam Antworten auf die Herausforderungen zu finden, vor denen die Demokratie steht. https://faktor-d.org/

relevant. ist eine unabhängige Plattform für drängende Gesellschaftsfragen, für lösungsorientierten Journalismus, die Demokratie und die Stimme der Zivilgesellschaft. Wir berichten darüber, wie Menschen versuchen, wichtige gesellschaftliche Probleme zu lösen, und was wir aus ihren Erfolgen oder Misserfolgen lernen können. https://www.relevant.news/


Das ganze Panel mit Nina Schnider am Elevate 2024:



Ihr beschreibt relevant. als eine Plattform für "lösungsorientierten Journalismus". Du warst außerdem vergangenen Sommer bei der taz Konferenz für konstruktiven Journalismus an einer Charta für konstruktiven Journalismus beteiligt. Worum geht es beim lösungsorientierten bzw. konstruktiven Journalismus? Was sind Beispiele, wie dieser funktioniert?

Ziel des kritisch-konstruktiven Journalismus ist es, vollständigere Beschreibungen der Wirklichkeit zu liefern – mit Problemen und Lösungen. Es geht nicht um ein "positiveres Bild", nicht um Rosarot als Gegengewicht zur medialen Schwarzmalerei, sondern um das ganze Bild. Dabei orientieren wir uns an den 4 Säulen des lösungsorientierten Journalismus:

1.) Eine Antwort auf ein gesellschaftliches Problem – und wie diese Antwort funktioniert hat oder warum sie nicht funktioniert hat.
2.) Einblick, wie die Lösung funktioniert, welche Lehren gezogen werden können. Die Suche nach
3.) Beweisen (Daten oder qualitativen Ergebnissen), die das Scheitern oder die Wirksamkeit der Lösung belegen. Liegen keine Beweise vor, wird erklärt, warum der vorgestellte Lösungsansatz trotzdem Relevanz besitzt. Die meisten Lösungen sind nicht perfekt oder funktionieren nur unter bestimmten Umständen. Teil der lösungsorientierten Berichterstattung ist daher auch
4.), die Einschränkungen der Lösung aufzuzeigen und diese in einem Kontext darzustellen.

Auch wenn diese Art des Journalismus eine entschieden lösungsorientierte Perspektive einnimmt, handelt es sich nicht um PR für "gute Projekte", sondern um eine Facette der Berichterstattung, die gleichwertig etwa neben investigativem oder kommentierendem Journalismus stehen sollte. Beispiele können gerne auf https://www.relevant.news/ gelesen werden.

Demokratie 21 gibt auch den Podcast für Politische Bildung heraus. Was braucht es deiner Meinung nach für erfolgreiche politische Bildung im Klassenzimmer?

Es gibt da sehr viele Zugänge und sie haben alle eine Berechtigung. Im aktuellen System braucht es vor allem die Befähigung und den Mut der Lehrkräfte, auch heiklere Themen anzusprechen und sich abseits vom Lehrplan Raum für Diskurs und die Zusammenarbeit mit außerschulischen Angeboten zu nehmen. Was ich mir wünschen würde für mündige Bürger:innen von morgen: statt Bildung ÜBER die Demokratie (z.B. Institutionenkunde) mehr Bildung FÜR Demokratie (Entwicklung von Respekt, Toleranz und Beteiligung an einem gerechten System) und vor allem: mehr Bildung auf DEMOKRATISCHE WEISE: Die Befähigung des:der Einzelnen zur Zusammenarbeit, zum Nachdenken und zur Selbstbestimmung für ein besseres Leben.


Demokratie ist kein Selbstläufer, sondern ein ständiger Verhandlungsprozess. Der Dialog mit Andersdenkenden ist der Kern der Demokratie.

Bei Demokratie 21 initiiert ihr Gespräche über die Zukunft unserer Demokratie. Warum ist es so wichtig, miteinander über Demokratie zu sprechen? 

Demokratie ist kein Selbstläufer, sondern ein ständiger Verhandlungsprozess. Der Dialog mit Andersdenkenden ist der Kern der Demokratie. Alle Meinungen haben ihren Raum. Wir sind davon überzeugt, dass Zukunft gestaltbar ist. Voraussetzung dafür ist, herauszufinden, welche Zukunft wir als Bürger:innen gerne hätten.

Es  ist entscheidend, möglichst unterschiedliche Perspektiven, Erfahrungen, Wissen und Kreativität an einen Tisch zusammenzubringen: der Wissenschaft, der Politik, des Journalismus, der öffentlichen Verwaltung und der organisierten Zivilgesellschaft. Um miteinander und voneinander zu lernen.

Journalismus gilt als die vierte Säule der Demokratie, scheint jedoch seit Jahren in einer Vertrauenskrise zu stecken.  Hat der Journalismus ein Vertrauensproblem? Wie lässt sich dieses Vertrauen zurückgewinnen?

Wenn Dramatisierung und Polarisierung ein Ausmaß erreicht haben, das die Spaltung der Gesellschaft fördert, werden die Medien selbst zum Problem. Es ist ein starkes Gebräu: empfundene Vermischung von Fakten und Meinungen, realitätsferne Themen, Konkurrenz zu leicht verdaulichen, kostenlos zugänglichen sozialen Medien, Confirmation Bias, Fake News und Deep Fakes …

Ich glaube, nicht nur die Gesellschaft hat sich in ihre Informationsblasen zurückgezogen, sondern auch der Journalismus selbst. Wir haben teilweise den Bezug zu unserer Leserschaft verloren und müssen diese wieder finden. Das, was wir mit relevant. tun, ist gar nichts Neues, sondern eine Rückbesinnung auf eine journalistische Haltung, die es immer schon gab: nämlich die Leser:innen nicht mit Überforderung und Hilflosigkeit zurückzulassen. Gerade in Zeiten multipler Krisen ist es relevant, dass Medien auch verlässliche Informationen über Versuche und Anstrengungen bereitstellen, welche die Welt besser machen. Denn diese Informationen geben Hoffnung. Ich glaube, in der Hoffnung liegt der Weg zurück ins Vertrauen.



Das diesjährige Festivaldiskursthema war "Western Promises". Was assoziierst du damit?

Es ist unsere kollektive Verantwortung, unsere Vergangenheit aufzuarbeiten und genau hinzuschauen. Und es ist eine Notwendigkeit, daraus zu lernen. Quasi eine Art Reality Check – was sind eigentlich die Versprechen an uns selbst? Was verbindet uns in unserer Vielfalt?

Konstrukte wie die EU und die Vereinten Nationen versprechen Menschenrechte, Frieden und Wohlstand für alle, wenngleich darin auch eine Ambivalenz liegt. Einerseits entsteht derzeit ein starkes Empowerment des globalen Südens und Kritik an allem, was westlich ist, die "alte Macht" und Dominanzstrukturen stehen in der Kritik. Bei all dem dürfen wir nicht vergessen, dass der Westen auf Ideen von Demokratie und Gleichheit konstruiert ist.

Freiheit, Sicherheit und gleiche Rechte für Minderheiten sind Ideale, die aktuell in Frage gestellt werden von rechten Positionen und der Identitätspolitik. Wollen wir dem Rest der Welt vorschreiben, was richtig ist? Ich wünsche mir auf alle Fälle, dass Freiheit und Demokratie bewahrt werden – und es auch im Rest der Welt Selbstbestimmung und Frieden für alle gibt.

Du hast am Elevate ein Panel über Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und deren demokratiezersetzendes Potenzial moderiert. Wo siehst du gegenwärtig diese Gefahren und vor allem, wie lässt sich konstruktiv dagegen wirken?

Ich sehe nicht nur dort Gefahren, wo rechter Extremismus und Populismus bei aktuellen Debattenthemen Stimmung für rechte Positionen machen. Sondern vor allem dort, wo die Demokratie als Ganzes in Frage gestellt wird. Hier geht es um eine antidemokratische Meinungsmache, die eine Art Wegbereitung ist für eine tatsächliche Entkernung der Demokratie. In einigen Ländern konnten wir genau das in den letzten Jahren erleben, in Polen etwa. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir gute politische Bildung, die den Ernst der Lage erkennt. Und wir brauchen eine demokratische Szene, die viel stärker koordiniert und strategisch vorgeht, d.h. dort ihre versammelte Kraft fokussiert, wo es gerade am meisten brennt. Wir müssen die Dämme exakt dort verstärken, wo ein Durchbruch droht. Zusammen schaffen wir das auch.

Vielen Dank für das Gespräch!