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Interview: TADZIO MÜLLER

Tadzio Müller, einer unserer diesjährigen Eröffnungsredner, ist einer der profiliertesten und smartesten Klimagerechtigkeitsaktivisten. Im Vorfeld seiner Auftritte im Rahmen von Elevate gab er uns ein inspirierendes Interview.

ELEVATE: Wir haben heuer Creative Response als übergreifendes Festivalthema gewählt. Welche Rolle spielt Kreativität bei deiner Arbeit und in den Kontexten, in denen du dich dabei bewegst?

Das hängt natürlich davon ab, wie Ihr den Begriff definiert. Im umgangssprachlichen Sinne, der Kreativität als das Territorium von Kunst, Musik, Poesie oder ähnlichen kulturellen Formen versteht, keine allzu große. Wenn wir aber Kreativität etwas weiter fassen, als das In-die-Welt-bringen neuer Dinge, neuer gesellschaftlicher und politischer Formen, dann würde ich sagen, dass die Arbeit in sozialen Bewegungen eigentlich eine der zentralen Formen gesellschaftlicher Kreativität ist. Das mag jetzt ziemlich pathetisch klingen, aber denkt mal drüber nach: von Gesundheitsversorgung über das allgemeine Wahlrecht, vom Recht für Frauen, Hosen zu tragen, zu meinem Recht, mit einem Mann Hand in Hand oder gar knutschend durch die Straßen zu laufen, nichts davon gäbe es, wenn soziale Bewegungen nicht diese vielfältigen Begierden, Bedürfnisse und Forderungen artikuliert, und gesellschaftlich wirkungsmächtig gemacht hätten.

Klimawandel? Das waren zuerst Wissenschaftler*innen, und dann die Umweltbewegung, die das als Problem überhaupt auf die gesellschaftliche Agenda gesetzt haben. In der lebensweltlichen Spontaneität von Protesten liegt die Quelle genuinen gesellschaftlichen „Fortschritts“: die Quelle Neuen. In der scheinbar ewigen Reproduktion des Gleichen entnormalisieren und hinterfragen soziale Bewegungen das Normalisierte und Unhinterfragte, schaffen Raum, das Indiskutable zu diskutieren, und machen öffentlich, was die Öffentlichkeit mit aller Macht zu verbannen suchte. Dadurch, dass sie das gesellschaftliche Neue produzieren, indem sie etablierte Machtstrukturen zwingen, sich an dieses Neue anzupassen und zu versuchen, es wiederum einzuhegen und produktiv zu machen, erhalten soziale Bewegungen eine Stellung, die manchmal als „Primat des Widerstands“ beschrieben wird.

Oder kurz: Kreativität spielt eine ziemlich große Rolle!

 

ELEVATE: Welche Strategien und Aktionsformen hältst du für sinnvoll und erfolgversprechend wenn es um den Widerstand gegen herrschende Missstände und die pro-aktive emanzipatorische Veränderung unserer Gesellschaften geht?

Hmm, das ist jetzt so eine Frage, wo ich eingeladen werde, zu sagen: das, was ich mache – meine Lieblings-Aktionsform ist tatsächlich der massenhafte zivile Ungehorsam, wenn viele Menschen sich gemeinsam in die Lage versetzen, die Regeln des kapitalistischen (oder rassistischen, oder sexistischen, oder...) Normalwahnsinns zu durchbrechen – ist das allerbeste, und alle anderen sollten das auch so machen. Aber das ist natürlich Quatsch. Soziale Bewegungen, das lernen wir zum Beispiel aus der anti-Atom-Bewegung – sind dann am stärksten, wenn sich die Beteiligten nicht gegenseitig von der Überlegenheit der eigenen Praxis zu überzeugen versuchen, sondern wenn die verschiedenen Praxisformen produktiv zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Oder anders formuliert: manche arbeiten in NGOs und schreiben Berichte, manche arbeiten in Parlamenten, manche brechen Gesetze und besetzen Kohlebagger, andere gehen gelegentlich mal demonstrieren, wieder andere finanzieren durch ihre Spenden Solikampagnen für die inhaftierten ungehorsamen Aktivist*innen. Nur, wenn alle diese Praxisformen sich positiv aufeinander beziehen, miteinander arbeiten, und sich gegenseitig nicht immer wieder durch moralische Anrufungen – „Was du machst, ist falsch/blöd/kindisch/reaktionär/reformistisch!“ - voneinander distanzieren, kriegen wir wirklich transformatorische Projekte auf die Beine.

 

ELEVATE: Welche kreativen Aktionen von Bewegungen und Initiativen haben dich inspiriert und geben dir Mut und Hoffnung?

Hättet Ihr mich das vor ein paar Monaten gefragt, hätte ich schon ein paar Jahre in die Vergangenheit blicken müssen, weil es mir in den letzten Jahren ziemlich an Mut und Hoffnung gefehlt hat – was vielleicht nicht ganz unverständlich ist, da ich vor allem in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv bin, und das mit dem Klimawandel... naja, sagen wir's mal so, es sieht schon wirklich düster aus. Ein kürzlich veröffentlichtes Paper von James Hansen, dem bekannten Klimaforscher, argumentiert, dass der Meeresspiegel nicht – wie bisher angenommen – „nur“ einen Meter bis zum Ende des Jahrhunderts ansteigen wird, sondern vielleicht schon zwei bis drei Meter bis zur Mitte des Jahrhunderts. Stellt Euch das mal vor!

Aber ich schweife ab, worum ging's? Ach ja, Mut und Hoffnung. Also bis vor ein paar Monaten hätte ich vielleicht bis 1999 ausgeholt, als ich in den USA wohnte, und fast schon ein Bisschen zufällig bei den Protesten gegen die Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle auf der Straße landete. Am Ende der schrecklichen 1990er Jahre, in denen der neoliberale Kapitalismus triumphal über die Weltbühne schritt und verkündete, dass es keine Alternative gäbe, dass das Ende der Geschichte erreicht sei, schafften es unsere Proteste nicht nur, den Gipfel der Mächtigen für einen Tag wirklich zu verhindern, sie wurden auch zum Fanal, zur Coming-out Party der globalisierungskritischen Bewegung, die sich den Slogan auf die Fahnen schrieb: Eine andere Welt ist möglich!

Aber jetzt gibt’s ja auch „Ende Gelände“: als wir mit über tausend Menschen im August im Rheinland einen Braunkohletagebau besetzten, die apokalyptischen Bagger zum Stillstand brachten, die dort im Wortsinne eine gigantische Wunde in die Natur schlagen – das hat mir Mut und Hoffnung gegeben. Das war die Art von Aktion, von der ich als „Aktivist“ (irgendwie auch ein blödes Wort) jahrelang zehren kann. Sie zeigt, dass wir es schaffen können, dass der Kampf um die Energiewende, für die Klimagerechtigkeit und gegen den kapitalistischen Wachstumswahnsinn auch in der Mitte von Europa, auf der Insel der Seeligen, Pazifierten und Demobilisierten, als die Deutschland zur Zeit erscheint, vorangehen kann.

 

ELEVATE: Was empfiehlst du Menschen, die selbst aktiv werden wollen? Wo und wie können sie mitwirken?

Auf die Gefahr hin, der Haarspalterei bezichtigt zu werden, was genau meint Ihr mit „selbst aktiv werden wollen“? Das kann von einer Spende für Campact bis hin zum Einzug in ein Baumhaus im (von radikalen Ökoaktivist*innen besetzten) Hambacher Forst reichen – siehe meine Antwort oben. Vielleicht kann ich es so formulieren: findet ein Thema, für das Ihr brennt, und überlegt Euch, auf was für Leute Ihr Lust habt, und wie Ihr Politik machen wollt. Redet mit Menschen in Eurem Umfeld, die schon irgendwo aktiv sind, und lasst Euch von denen mal zu einem Treffen oder einer Demo mitnehmen, oder, oder, oder... Es gibt unglaublich viele Optionen, aktiv zu werden, mitzuwirken. Vielleicht sollte der erste Akt des neugefundenen Aktivismus sein, aktiv diese Optionen auszukundschaften. [zb bei Elevate]

 

ELEVATE: In Welcher Gesellschaft möchtest du gerne leben? Welche Visionen geben dir Mut, weiterzumachen?

Puuh, Ihr macht's einem aber auch nicht leicht. In was für einer Gesellschaft? In der nicht alles so zur Hölle geht, wie heute. In einer mit viel mehr Gerechtigkeit und viel mehr Knutschen. In einer, in der ich den Großteil der Tage verchillen kann, wenn ich das will, und nicht ständig in ein Büro rennen muss. In der auch alle anderen ihre Tage verchillen können, wenn sie das wollen, und nicht ständig ins Büro (oder in die Wäscherei, oder...) rennen müssen, damit überprivilegierte Nasen wie ich ein entspanntes Leben haben. In der es keine überprivilegierten Nasen wie mich gibt. Im queergeschlechtergerechten, antirassistischen Ökokommunismus halt, ist doch klar.

Die Frage zum Mut zum Weitermachen, die ist vielleicht interessanter: Manchmal ist's schon  schwierig, angesichts all der alltäglichen Zerstörung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit, immer weiterzumachen mit dem „Aktivismus“. Aber dann fallen mir zwei Dinge ein: erstens, soziale Bewegungen haben es immer wieder geschafft, das Unmögliche möglich zu machen, oder, genauer gesprochen, die Grenzen des Möglichen zu verschieben. Kürzliches Beispiel: plötzlich müssen sogar die US-Republikaner irgendwie halbwegs positiv zur Homoehe stehen, obwohl das vor zehn Jahren noch ein total toxisches Thema war – hätte keine Sau für möglich gehalten. Also warum sollten wir das beim Klimawandel nicht auch schaffen? Und der zweite Gedanke ist der: entweder schaffen wir's (super!), oder wenn wir's nicht schaffen, das Klima kippt, und die faschistischen Horden durch die Straßen ziehen – dann kann mensch heute nichts besseres machen, als in sozialen Bewegungen aktiv zu sein. Die Intensität der sozialen Verbindungen, die dort gebildet werden, das Skillsharing, und die kollektive Ermächtigung: nichts schützt uns besser vor den Folgen des kapitalistischen Normalwahnsinns – und vor den Faschos.

Und dann gibt’s natürlich den fully automated luxury communism. Aber das ist ne andere Geschichte.

 

Tadzio Müller wird bei folgenden Veranstaltungen des Elevate Festivals zu Gast sein: