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Knowledge Is Power - Interview: Gert-René Polli

Sicherheits- und Geheimdienst Experte Gert-René Polli antwortet auf Fragen des Elevate Festivals rund um das Thema Nachrichtendienste, Geheimnisse und zur Hacker-Szene. #e13knowledge

ELEVATE:
Geheimdienste, oder besser "Intelligence Services" sind seid Edward Snowdens Enthüllungen in aller Munde. Für viele ist es etwas Neues, dass die Dienste den gesamten Kommunikationsverkehr überwachen und damit alle Bürger*innen in die Spionagetätigkeit miteinbeziehen. Ist dies wirklich etwas Neues, oder nur die Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit mittels neuer Technologien?

Gert-René Polli: Nachrichtendienstliche Tätigkeit ist das zweitältester Gewerbe der Welt. Es wäre blauäugig zu meinen, dass die neue Technologie nicht auch in der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung Eingang gefunden hätte. Auf den 2. Blick muss man allerdings zwischen den unterschiedlichen Nachrichtendiensten und deren Fähigkeiten differenzieren. Nur solche Nachrichtendienste, die über einen entsprechenden nationalen Stellenwert und damit über ein entsprechendes Budget verfügen, können sich solche kostspieligen Apparate und Techniken leisten. Wie kürzlich veröffentlicht wurde, beträgt das Budget der U.S. Nachrichtendienste annähernd 40 Mrd Euro und hier wurden bei weitem nicht alle U.S. Nachrichtendienste erfasst. Dass diese und auch andere Dienste schon lange dazu übergegangen sind, Kommunikation technisch zu überwachen, war schon zur Zeit des Kalten Krieges kein Geheimnis. Was aber tatsächlich entscheidend ist, bleibt die Frage was überwacht wurde und was mit diesen Informationen tatsächlich passiert und passiert ist. Mit anderen Worten: Wir kennen die Täter, nicht aber die Opfer.


ELEVATE
In den USA wird im Militärbereich, wie auch im Sicherheitsbereich immer mehr an private Firmen "outgesourced". Welche Konsequenzen das haben kann, ist mehrfach dokumentiert (Academi, vormals Blackwater). Wie beurteilen sie die Privatisierungstendenz derlei sensibler Bereiche?

Die Affaire Snowden hat die Grenzen des Outsourcing im Intelligence-Bereich aufgezeigt. Die Reaktion der NSA hat nicht lange auf sich warten lassen. Nicht überraschend, wird das Konzept, wonach in Schlüsselbereichen externe Systemadministratoren eingesetzt wurden, neu überdacht. Trotzdem ist die Entwicklung schon viel zu weit fortgeschritten, als dass man auf private Sicherheitsdienstleister - auch in sensiblen Bereichen - verzichten könnte. Diese Entwicklung hat lange vor dem Bekanntwerden der Praktiken eines Dienstleisters wie Backwater eingesetzt und hat längst auch schon den Intelligence-Bereich erfasst. Solche Dienstleistungen sind auch politisch bequem, da diese Perspektiven eröffnen, die dem Gesetz nach regulären Streitkräften oder andern staatlichen Institutionen verboten sind. Es ist aber auch richtig, dass damit für den Auftraggeber immer wieder umkalkulierbare Risiken verbunden sind. Meiner Erfahrung nach wird die Affaire Snowden zu einer neuen U.S. Strategie in der Ausrichtung der sog. Public-Private Partnership führen, insbesondere in Schlüsselbereichen der Nationalen Sicherheit.

ELEVATE
Die Analyse der Datenströme ist hochkompliziert. Unternehmen aus der High-Tech Branche stellen meist die Expertisen bzw. Soft- und Hardware und NSA Direktoren halten Keynotes auf Hackerkonferenzen. Wie beurteilen sie das Verhältnis der Intelligence Community zur High-Tech Branche und der Hackerszene?

Ich beurteile dieses Verhältnis vermutlich genauso skeptisch wie die Hackerszene selbst: Es handelt sich um einen Versuch, die Kontrolle über die technisch-autonome Szene wieder herzustellen.


ELEVATE:
Die Arbeit von Geheimdiensten basiert auf dem Bedarf einen Vorteil zu erzielen - wirtschaftlich, militärisch, strategisch. Welchen Einfluß hat das Wirtschaftssystem auf die Arbeit der Dienste?

Wenn diese Frage auf das Thema Wirtschafts- und Industriespionage abzielt, dann ist die Antwort: Die Bedürfnisse der Wirtschaft haben auf die Arbeit der großen Dienste einen starken Einfluss. Das bedeutet, dass staatsnahe oder strategisch wichtige Unternehmen immer ein Naheverhältnis zu den eigenen Nachrichtendiensten (ich vermeide hier den Begriff Geheimdienst bewusst) hatten und haben werden. Das liegt in der Natur des Konzepts des sog. Nationalen Interesses. Natürlich ist auch hier von Fall zu Fall und von Staat zu Staat zu differenzieren: Von einer solchen oftmals engen Kooperation betroffen sind Unternehmen im Bereich der strategischen Ressourcen, wie Öl, Gas aber auch zunehmend Wasser und andere Energieformen ebenso wie große Infrastrukturunternehmen, Technologie- Kommunikationsunternehmen im weitesten Sinne des Wortes. Ein besonderes Naheverhältnis zwischen Dienst und Wirtschaft allerdings bestehen am Finanzsektor. Man muss dieses Verhältnis allerdings etwas komplexer beurteilen, z.B. im Lichte der Auswirkungen der Globalisierung auf solche Firmen oder Unternehmen. Kaum ein strategisches Unternehmen notiert nicht auf der Börse oder arbeitet mit internationalen Partnerschaften oder Beteiligungen. Auch sind Firmenübernahmen samt Know How an der Tagesordnung.  Nachrichtendienste haben daher eine sehr ausgeklügelte Strategie entwickelt, solche Entwicklungen und wirtschaftliche Erscheinungsformen zum Vorteil jeweiliger nationaler Interessen zu beeinflussen - meist aber zu manipulieren - oft aber durch Gesetzt an sich zu binden. Es versteht sich von selbst, dass sich nur solche Staaten einen derart ausgerichteten Dienst leisten wollen, die Willens und auch in der Lage sind, ein solches nationales Interesse mit fast allen Mitteln auch umsetzen wollen. Somit ist dort das Naheverhältnis Wirtschaft und Nachrichtendienst am großen, wo eine globale nationale Interessenlage erkennbar wird.


ELEVATE:
Mit Wikipedia und anderen partizipativ nutzbaren Online-Enzyklopädien ist Wissen nun verteilter denn je. Auch über Nachrichtendienste und deren Tätigkeit. Wieviel Wissen kann heutzutage eigentlich noch "Geheim" bleiben?

Wissen über Nachrichtendienste sind heute beinahe schon Allgemeinwissen. Was vorerst geheim bleibt ist das Zusammenwirken von politischen und nachrichtendienstlichen Strukturen. Solche werden erst viel später transparent oder meist gar nicht. Trotzdem, Informationen über Operationen oder sogar laufende Operationen werden auch künftig der Öffentlichkeit nur durch Vorfälle wie jenen um die Affäre Snowden bekannt werden. Das allerdings ist nur die Spitze eines Eisberges, der die Privatsphäre und letztlich auch die damit verbundenen Bürgerrechte zum eigentlichen Ziel erklärt hat.

 

Interview: Daniel Erlacher / Recherche zur Veranstaltung "Knowledge is Power" am 25.10.2013 beim Elevate Festival. #e13knowledge - http://2013.elevate.at/e13knowledge

 

Gert-René Polli
Im Jahr 2002 wurde Dr. Gert R. Polli mit der Gründung und Leitung des österreichischen zivilen Nachrichtendienstes, dem ,betraut. Diese Position hatte er bis zum Jahre 2008 inne. Davor war Dr. Polli mehr als 25 Jahre Berufsoffizier beim Österreichischen Bundesheer, die überwiegende Zeit davon im militärischen Auslandsnachrichtendienst. Als langjähriger Leiter des österreichischen zivilen Nachrichtendienstes war er Vorsitzender der "Middle European Conference" ebenso wie im, beides hochkarätige, europaweite, informelle nachrichtendienstliche Plattformen.

http://www.polli-ips.com

siehe auch:

http://www.kleinezeitung.at/kaernten/wolfsberg/3089682/groesste-schleudersitz-republik.story

http://orf.at/stories/2190078/2190107