Skip to main content

Knowlege is Power - Interview: Siegfried Beer

Historiker und Geheimdienstexpete Sigfried Beer von der Universtität Graz antwortet auf Fragen des Elevate Festivals rund um das Thema Nachrichtendienste, Geheimnisse und zur Hacker-Szene. #e13knowledge

ELEVATE:
Geheimdienste, oder besser "Intelligence Services" sind seit Edward Snowdons Enthüllungen in aller Munde. Für viele ist es etwas Neues, dass die Dienste den gesamten Kommunikationsverkehr überwachen und damit alle Bürger*innen in die Spionagetätigkeit miteinbeziehen. Ist dies wirklich etwas Neues, oder nur die Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit mittels neuer Technologien?

Sigfried Beer: Daran ist überhaupt nichts Neues; die Funkaufklärung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von allen Großmächten, die dazu fähig waren, konsequent und kontinuierlich weiterentwickelt, sodass im Zeitalter der Computerisierung und Digitalisierung unseres Lebens mächtige Organisationen wie die NSA, auch mit Hilfe führender IT-Konzerne, die Kapazität haben, geradezu jeden Winkel der Welt zu observieren bzw. bei Bedarf zu durchdringen. Durch technologische Verfeinerungen wird diese Kapazität fortwährend gesteigert; wichtig dabei ist, dass es um Kapazität geht, nicht um Realität; im Falle der NSA stieg der Prozentsatz derer, die observiert bzw. abgehorcht werden beständig. Die seit 9/11 wieder gelockerten rechtlichen Bestimmungen für eine gesetzlich gedeckte Observation, vor allem auch von amerikanischen Staatsbürgern, erstrecken sich global vermutlich auf einen Personenkreis im höchstens 6-stelligen Bereich, bei einer Weltbevölkerung von immerhin 7 Milliarden.


ELEVATE:
In den USA wird im Militärbereich, wie auch im Sicherheitsbereich immer mehr an private Firmen "outgesourct". Welche Konsequenzen das haben kann, ist mehrfach dokumentiert (Academi, vormals Blackwater).
Wie beurteilen sie die Privatisierungstendenz derlei sensibler Bereiche?

Beer: Das Outsourcen an Private nimmt eher zu als ab, weil es ökonomisch sinnhaft erscheint und Geheimdienste auch nicht mehr imstande sind, alle Spezialaufgaben durch eigenes Personal abzudecken; zugleich erhöht es die Gefahr(en) innerhalb der intelligence community, weil durch private Mitarbeiter Kontrolle und Sicherheit abnehmen. Der Fall Snowdon bezeugt, dass es im Bereich vetting privater Zuarbeiter offensichtlich Defizite gibt, denn er kommt vollends aus dem ausgesourcten Milieu.

ELEVATE:
Die Analyse der Datenströme ist hochkompliziert. Unternehmen aus der High-Tech Branche stellen meist die Expertisen bzw. Soft- und Hardware und NSA Direktoren halten Keynotes auf Hackerkonferenzen.
Wie beurteilen sie das Verhältnis der Intelligence Community zur High-Tech Branche und der Hackerszene?

Beer: Dieses Verhältnis dürfte über die letzten Jahre immer enger geworden sein, weil es wechselseitige Vorteile offerierte, aber auch, weil der Druck der öffentlichen Stellen auf die High-Tech-Firmen nach 9/11 und im „war on terror“ stetig gewachsen ist. Widerstand dürfte sich erst nach Auffliegen der Kooperationen geregt haben.

ELEVATE:
Die Arbeit von Geheimdiensten basiert auf dem Bedarf einen Vorteil zu erzielen - wirtschaftlich, militärisch, strategisch. Welchen Einfluss hat das Wirtschaftssystem auf die Arbeit der Dienste?

Beer: Geheimdienste werden vom Staate bzw. von Staaten gehalten, die ein legitimes nationales Interesse haben, dass die Wirtschaft des jeweiligen Landes nach innen und außen floriert; es geht daher vor allem um systemische Interessen, eher selten um die Sicherung von Interessen einzelner Konzerne oder von ganzen Wirtschaftssparten. Natürlich kommt es vor, dass bestimmte Konzerne in einer US-Administration überproportional vertreten sind, wie etwa Coca Cola in der Jimmy Carter Ära. Unternehmen und Konzerne tendieren heute dazu, ihre competetive intelligence selbst zu organisieren, erst recht Wirtschaftsspionage selbst abzuwehren.

ELEVATE:
Mit Wikipedia und anderen partizipativ nutzbaren Online-Enzyklopädien ist Wissen nun verteilter denn je. Auch über Nachrichtendienste und deren Tätigkeit. Wieviel Wissen kann heutzutage eigentlich noch "geheim" bleiben?

Beer: Genug, um sich sündteure Geheimdienste zu halten. Man schätzt, dass der Anteil von Open Source Intelligence mittlerweile auf ca. 90% gestiegen ist; es geht also hauptsächlich um einen etwa 10%igen Anteil an Geheimnissen. Das sind allerdings die wichtigsten, für deren Ergründung potente Geheimdienste nichts unversucht lassen, wie man neuerdings ja erfahren konnte. Diese Erkenntnis steigert auch den Stellenwert von HUMINT, also gemeinnütziger Spionage alten Stils.

ELEVATE:
Gibt es Länder die auf einen Geheimdienst verzichten? Kennen sie Beispiele?

Beer: Jedenfalls keine signifikanten; wer etwas auf sich hält, hält sich Dienste; Habsburg-Österreich war schon im 19. Jahrhundert ein europäischer big player und selbst das verarmte, scheiternde Österreich der Ersten Republik trachtete sofort danach; Luxemburg spielt mit, erst recht der Vatikan; ich kenne keinen bewusst „enthaltsamen“ Staat.


ELEVATE:
Mit der Öffnung der Geheimdienst-Archive in den letzten Jahrzehnten kamen viele Geschichten an die Öffentlichkeit, die die bisherige offizielle Version der Geschichtsschreibung widerlegen.
Welche Rolle spielen diese Entdeckungen in der Wissenschaft?

Beer: Eigentlich eine überraschend geringe, obwohl dadurch erst die intelligence studies begründet wurden, und zwar in den späten 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts, als die Welt von den alliierten Erfolgen der Funkaufklärung gegen Nazi-Deutschland („Ultra“) und gegen Japan („Magic“) erfuhr. Heute wissen wir, dass die Geschichte des Zweiten Weltkrieges trotzdem nicht wesentlich umgeschrieben werden musste. Geheimdiensterfolge können den militärischen Ausgang eines Krieges beschleunigen, wie Misserfolge ihn verzögern können. Wirklich kriegsentscheidend sind zumeist andere Faktoren.

ELEVATE:
Manche Entdeckungen sind für Staaten und die Dienste sehr unangenehm und in vielen Fällen wird versucht die Veröffentlichung zu verzögern, zu zensieren oder sogar Beweise zu vernichten. Welche Bedeutung haben solche Ermittlungen für unsere Gesellschaft - wenn man bedenkt, dass es prinzipiell gut ist die tatsächliche Geschichte zu kennen und nicht mit Lügen zu leben?

Beer: Die Geschichte lehrt eigentlich beeindruckend, dass Vertuschungen, Täuschungen und Lügen fast nie auf Dauer haltbar sind; irgendwie und irgendwann kommt die historische Wahrheit hoch, für manche noch zu Lebzeiten, für andere erst danach; nur wenig Signifikantes bleibt unentdeckt. Selbst Aktenvernichtung ist keine Garantie. Der Historiker als Detektiv!

ELEVATE:
Haben sie schon viel bisher Unbekanntes aus den Archiven ausgegraben? Was war ihre brisanteste Entdeckung?

Beer: Unbekanntes schon, aber kaum wirklich Brisantes. Am ehesten noch, dass Otto Schulmeister, der langjährige Chefredakteur der „Presse“, von der CIA als „inoffizieller Mitarbeiter“ geführt wurde. Das konnte Österreich im April 2009 jedoch nur wenige Tage beeindrucken.

ELEVATE:
Staatsverbrechen gegen die Demokratie!

Beer: In der Tat ist der Begriff Verschwörungstheorie so pejorativ und beladen, dass man ihn nur für offensichtliche Spinnereien verwenden sollte; trotzdem gebrauche ich ihn manchmal, um sinnlose Diskussionen zu beenden. Für einen ernsthaften Historiker zählen die Belege in einem möglichst breiten, um nicht zu sagen ganzheitlichen Umfeld. Die Ermordungen der Jahre 1963-68 sind für mich hinreichend erforscht; diese Forschungen lassen m.E. keine Inkriminierung des Staates oder auch nur einer relevanten Regierungsbehörde zu. Es sind zumeist Einzeltäter mit erklärbarem und belegbarem Hintergrund, staatlich und privat. Die Menschen aber lechzen nach mehr.

 

 

Interview: Daniel Erlacher / Recherche zur Veranstaltung "Knowledge is Power" am 25.10.2013 beim Elevate Festival. #e13knowledge - http://2013.elevate.at/e13knowledge

 


Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. phil. Siegfried Beer
Historiker, ACIPSS Obmann

geb. in Scheibbs (Niederösterreich), Studium Geschichte und Anglistik/ Amerikanistik an der Universität Wien und an der Wesleyan University, Middletown, CT, USA. Zahlreiche Studienauslandsaufenthalte, darunter als Schumpeter-Forschungsprofessor an der Harvard University, Cambridge, MA, USA (Studienjahr 1996/97) und als Botstiber Visiting Professor an der Columbia University in the City of New York (2007). Habilitation für Allgemeine Neuere und Allgemeine Zeitgeschichte.

Forschungsschwerpunkte: Internationale Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, Anglo-amerikanische Geschichte seit 1776, Geheimdienste im 20. Jahrhundert, Österreich im 20. Jahrhundert.

http://www.acipss.org/