Aber Schwamm drüber, an Wankelmütigen und Opportunist*innen hat es in der Clubszene noch nie gemangelt. Das Problem mit diesen Opportunist*innen ist aber, dass sie das Deep-House-Fach seit Jahren mit Lawinen belangloser Releases verwässern. Sie sampeln alte Jazz-Platten, die Vokal-Schnipsel nehmen sie von Soul-Klassikern und packen einfach eine dicke Bass-Drum drunter. Was cultural appropriation bedeutet, wissen sie nicht. Und es interessiert sie auch nicht, weil sie einfach nur geile, deepe Tracks machen wollen – ohne zu viel darüber nachdenken zu müssen.
Dass guter House aber weit mehr als Clubmusik ist, könnten sie bei The Black Madonna lernen. Seit 2012 ist sie neben Ikonen wie Derrick Carter und Frankie Knuckles Resident-DJ im legendären Chicagoer House-Club Smart Bar, ihre leichtfüßigen House-Tracks wie „Exodus“ werden in der Berliner Panorama Bar als Hymnen gefeiert. The Black Madonna aber fordert in ihrer Musik wie in der Clubwelt generell politisches Bewusstsein ein. In ihrem lesenswerten Pamphlet proklamiert sie: „Tanzmusik muss sich stets hinterfragen, sie braucht das Salz in ihren Wunden. Tanzmusik braucht Riot Grrrls und Frauen über 40.“ Amen!
Der andere Hauptact der Red Bull Music Academy Nacht ist Osunlade. 1999 gründete der Priester der westafrikanischen Ifá-Religion sein Label Yoruba, mit seinen organischen House-Tracks wurde der US-Musiker schnell zur Lichtgestalt afrozentristischer Tanzmusik. Seine DJ-Sets sind Messen, bei denen Osunlade das Publikum auf spirituelle Reisen mitnimmt. Als Transportmittel dienen dabei: Latin-Jazz, Afrobeat, Soul und deeper House, der das Attribut verdient.
Ähnlich verhält es sich mit Suzanne Kraft, zumindest was die Mannigfaltigkeit des kalifornischen Produzenten angeht. Seit er 2011 unter seinem bürgerlichen Namen Diego Herrera erstmals ins Rampenlicht trat, veröffentlichte er verhuschte House-Tracks, eiernde Disco-Platten, Lo-Fi-Funk und verrauschte Ambient-Tracks auf honorigen Labels wie 100% Silk und Running Back. Sein aktuelles Album „Talk From Home“ ist ein kleines Meisterwerk voller abgespeckter Sonnenuntergangshymnen zwischen Balearic-House und Heimwerker-Elektronik.
Neben dem deutsch-venezolanischen Wahlwiener Moony Me, dessen schwereloses Disco-Epos „Magergarten“ auf der neuen Werkschau des Dresdner Labels Uncanny Valley als Track-des-Jahres-Anwärter gilt, tritt auch Etienne Jaumet auf. Mit einem Live-Konzert. Das heißt in seinem Fall allerdings nicht bequemes Auf-blinkende-MIDI-Controller-Tasten-Drücken, der Franzose reist mit seinem Analog-Fuhrpark an, der oft auch koffergroße Modular-Synthesizer beinhaltet. Bedingt durch die altehrwürdigen Produktionsmittel klingt Jaumets Musik, die beim französischen Feinspitz-Label Versatile erscheint, wie Todd-Terje-Edits einer bislang verschollenen John-Carpenter-Filmmusik.
Text: Florian Obkirchner
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Fälschlicherweise, wie Peter Rehberg nicht müde wir zu betonen. Schließlich ist die ungebrochene Neugier an progressivem, musikalischem Vokabular und das Übertreten von Konventionen weder an bestimmte Tools, noch Genres gebunden. Mit dem Ausstieg von Bauer und Pieper vor gut zehn Jahren, übernahm der Brite allein das Ruder. Seitdem heißt das Label Editions Mego. Dem exzentrischen Musikallrounder Rehberg gelingt es schließlich so unterschiedliche Sparten wie Techno, Ambient, Noise, Improv, Soundexperiment und Folk unter einen Hut zu bringen. Was zählt ist der je individuelle, idiosynkratische Ausdruck der MusikerInnen. Im Backkatalog tummeln sich folglich nicht nur illustre Namen wie Christian Fennesz oder Jim O’Rourke, sondern auch Japanoise-Berzerker Keiji Haino und Merzbow, die digitalen Superfrickler Florian Hecker und Marcus Schmickler, oder Größen der jüngeren Elektronikszene wie Oneohtrix Point Never und Emeralds. Seit einigen Jahren hat das Mutterlabel auch einige Sublabels um sich geschart. So betreibt Sunn O)))‘s Metal-Drone-Kultfigur Stephen O’Malley, mit dem Rehberg auch im Duo KTL aktiv ist, das Label Ideologic Organ. Das ehemalige Emeralds-Mitglied John Elliott wurde mit Spectrum Spools betraut, einem Label, das seinen Fokus auf die junge US-Synth-Szene lenkt, während das in Frankreich ansässige Label RE-GRM mit seinen Neuauflagen der im GRM-Studio entstandenen Aufnahmen von Musique Concrète Pionieren dafür sorgt, dass nun auch Namen wie Iannis Xenakis oder Bernard Parmegiani im Editions Mego-Katalog vertreten sind.
Der Editions Mego Showcase des Elevate Festivals ist bunt zusammengepflückt und bringt die verschiedenen Facetten des Labels zum Ausdruck. Nicht nur neuere Acts werden zu hören sein, sondern auch MusikerInnen, die von Anfang an mit dabei waren. Eine davon ist Christina Nemec aka Chra. Die Wiener comfortzone-Labelbetreiberin, die im Übrigen auch mit Rehberg und Christian Schachinger in der Band Shampoo Boy performt, ist bekannt für ihre immersiven, tief-wummernenden Drone-Scapes. Nemec fügt Bassgitarre, Effekte und Field Recording-Samples zu dystopische Klanglandschaften zusammen, die zwischen existentieller Trance und industriellem Wasteland oszillieren. Der zweite lokale Act im Line-Up ist Keyboard-Impro-Berzerker Philipp Quehenberger. In seinen Solo-Sets unterfüttert er windschiefe Melodiestränge mit geradeaus stampfenden Bassdrums – psychedelisch-verschroebener Techno, der schon seit einem guten Jahrzehnt den musikalischen Underground der Hauptstadt aufwühlt. Die zwei internationalen Acts stammen aus dem Roster von Spectrum Spools: Der Name Steve Hauschildt dürfte einigen schon aus der Formation Emeralds bekannt sein. Seine sanften Synthmodulationen gleichen einem eklektischen Mix aus trance-induzierendem Krautrock, mäanderndem Kosmische und neonfarbene Reveries, die 80er Jahre Soundtracks in Erinnerung rufen. Ziemlich konträr ist der Ansatz seines Kollegen James Donadio, der mit Verve und harschem Daumen an seinen Synthmodulen schraubt. In seinem ranzig krachigen Projekt Prostitutes fusioniert er Detroit Techno und schroffen Noise, hält sich dabei schnörkellos reduziert und entwickelt eine ästhetische Radikalität, die auch schon Labels wie Diagonal oder Opal Tape begeistern konnte.
Auch die Dj-Line dürfte konfrontativ ausfallen. Der in Berlin ansässige Peter Votava aka Pure ist auch schon seit den 90ern im Mego Umfeld unterwegs. So veröffentlichte er gemeinsam mit Christopher Just als Ilsa Gold auf dem Vorgängerlabel Mainframe, danach als Bolder auf Editions Mego. Für sein Dj-Set wird er aus seinen über 20 Jahren Produktions- und Bühnenerfahrung mit elektronischer Musik unterschiedlichster Richtungen schöpfen und – ganz im Stil seiner letzten Veröffentlichung auf Editions Mego (Bolder – Hostile Environment) – Experimentelles mit Tanzbarem verbinden. Zwischen den einzelnen Auftritten dürfen wir auch auf DJ Pita aka Peter Rehberg himself gespannt sein, der mit Neuerscheinungen des Labels und sonstigen akustischen Kompromisslosigkeiten überraschen wird.
Text: Shilla Strelka
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