Paul Friedrich

Elevate Q&A mit Paul Friedrich

23.10.2012

Das Elevate Festival stellt seinen Gästen heuer DIE Frage zum Festivaltitel: Brauchen wir die große Katastrophe um uns Weiterzuentwickeln? Auch die multiple Krise ist eine von drei Fragen, die allen Gästen des Festivals gestellt wurden. Einige der Antworten werden hier im Elevate Magazin veröffentlicht.

Paul Friedrich wird sich an der Diskussion "Demokratie neu entwickeln!" am Samstag im Forum Stadtpark und dem vertiefenden Workshop am Sonntag in der Grünen Akademie beteiligen.

 

 

Wie schätzt Du die gegenwärtige multiple (wirtschaftliche, ökologische, soziale, politische) Krise und die (Anti-) Krisenpolitiken ein?

 

Die angebliche "Wirtschaftskrise" ist in meinen Augen ein gigantisches Manöver, um den Menschen Angst zu machen und eine Umverteilung von unten nach oben in gewaltigem Ausmaß durchzuführen. Das System bedient sich der üblichen Vorgehensweise: Desinformation, Lügen, Repression und Gewalt. Zumindest für Europa sehe ich die Antwort in der Abwendung vom System und im Aufbau autonomer Strukturen und deren solidarischer Vernetzung auf allen Ebenen.

 

 

Was ist Deine Meinung zu der zentralen Frage des diesjährigen Festivals: Elevate the Apocalypse? Wird es der Menschheit gelingen, den dringend nötigen gesellschaftlichen Wandel hin zu solidarischen Wirtschafts- und Lebensweisen zu bewerkstelligen, die die ökologischen Grenzen des Planeten respektieren? Oder bedarf es erst großer Katastrophen, damit die notwendigen, grundlegenden Veränderungen entschieden vorangetrieben werden?

 

Wir leben in der Katastrophe. Dieses System ist ein Hohn auf die Intelligenz, den technischen Fortschritt, den sozialen Zusammenhalt und das kreative Potential der Menschen. Aber es triumphiert, weil kaum jemand sich vorstellen kann, dass es auch anders gehen könnte, dass eine Gesellschaft sich auch egalitär, solidarisch und verantwortungsvoll organisieren und verhalten könnte.

 

 

Denkst Du, dass globale soziale Bewegungen wie La Via Campesina oder zuletzt auch Occupy eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, das Ruder herumzureißen und zukunftsfähige Gesellschaften zu entwickeln? Wie groß ist Deiner Meinung nach das Potenzial solcher Bewegungen? Welche weiteren Akteur*innen sind wichtig?

 

Unbedingt! Protest ist notwendig. Der Schrei der Empörung muss so laut werden, dass er nicht nur eine erfreuliche Randnotiz ist, sondern die Paläste der Herrschenden erschüttert. Wir brauchen die sozialen Bewegungen, die dem ganzen Wahnsinn Widerstand leisten, wir brauchen weltweit vernetzte, sich gegenseitig inspirierende und solidarisch unterstützende Bewegungen. Und wir brauchen kleine, dezentrale, autonom organisierte Projekte, die andere Formen des Wirtschaftens und Zusammenlebens entwickeln. Derzeit sind sehr viele Menschen oberflächlich (und wahrscheinlich auch tief in sich drin) unzufrieden mit dem System und seinen RepräsentantInnen, aber kaum jemand kann sich ernsthaft vorstellen, dass es auch anders gehen könnte. Die Unzufriedenheit führt deshalb in zu vielen Fällen zu Resignation, zum Rückzug ins Private, anstatt zur gemeinsamen Aktion, zur Abwendung vom System und zum Aufbau von Alternativen.

 

 

Immanuel Wallersten ist überzeugt davon, dass der Kapitalismus in 20 bis 30 Jahren Geschichte sein wird. Immer mehr Menschen denken, dass dies angesichts der Verschärfung verschiedener Krisentendenzen sogar bereits früher der Fall sein könnte. Was meinst Du? Und welche post-kapitalistische(n) Gesellschaft(en) würdest Du Dir wünschen?

 

Wie gesagt, ich kann keine Krise des Kapitalismus entdecken. Ganz im Gegenteil: Das Kapital regiert den Planeten mit einer nie dagewesenen Akzeptanz (auch wenn die zu einem großen Teil auf Resignation und Perspektivenlosigkeit beruht) und immer ausgeklügelteren Überwachungs- und Kontrollapparaten. Die Demokratie setzt sich gegenüber der Diktatur nicht deswegen durch, weil sie freundlicher ist, sondern weil die Unterdrückung der Menschen auf diese Weise wesentlich ökonomischer organisiert werden kann. Trotzdem glaube ich, dass Veränderung möglich ist. Es gibt diesen Schrei der Empörung, es gibt überall auf der Welt Widerstand, es gibt unglaublich viele autonome Projekte, die schon jetzt (und zum Teil seit vielen Jahren) versuchen, dem System eine positive Alternative entgegenzustellen. Davon können wir lernen, darauf können wir aufbauen! Die Zapatistas in Chiapas haben es innerhalb weniger Jahre geschafft, sich aus der Unterdrückung durch Großgrundbesitzer und Kapital zu befreien. Trotz Repression durch Militär, Regierung und Paramilitärs wurden innerhalb weniger Jahre ein autonomes Bildungs- und Gesundheitssystem aufgebaut, auf den befreiten Ländereien entstanden verschiedenste Formen kollektiver Landwirtschaft und Kleinbetrieben, patriarchale Strukturen werden systematisch in Frage gestellt, und das Zusammenleben wird über ein autonomes System der "Räte der Guten Regierungen" organisiert.

<- Zurück zu: Magazine