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Experimentalguide

Wie jedes Jahr vereint das Elevate Festival auch diesmal wieder zahlreiche progressive Elektronik-Acts in seinem Line-Up. Mit dem neuen audio-visuellen Fokus im Grazer Orpheum werden zudem die erstaunlichen Synergien zwischen Bild und Sound ausgestellt. Welche teils abenteuerlichen Anordnungen wir zu erwarten haben, hat die Musikjournalistin und Elevate-Co-Kuratorin Shilla Strelka für uns zusammengefasst.

SOUND EXPANDED
Auf welche Art Raum und Klang miteinander verwoben sind und welche Möglichkeiten sich daraus ableiten lassen, offenbart uns der elektronische Musiker Rashad Becker am Donnerstag im Forum Stadtpark. Becker, der sich als Mastering-Engineer intensiv mit Klangfarben, Texturen und taktilem Hören auseinandersetzt, nutzt seine Skills, um polyphone Klangtexturen zum Leben zu erwecken. Seine Fähigkeit, Sounds organisch auszugestalten, ermöglicht es ihm, schwarmartige Figuren zu formen und diese in Mikro-Narrative einzubetten. Das eigens für das Festival und die 3D-Lautsprecher-Anlage IKO arrangierte Stück offenbart den teils theatralen  Charakter seiner Arbeit. Der Freitag im Orpheum verspricht eine audio-visuelle Liaison der besonderen Art und ist gleichzeitig neuer Schwerpunkt im Festival-Programm. In Kooperation mit dem TodaysArt Festival aus Den Haag wurden prominente VertreterInnen aus Klang- und Videokunst ausgewählt, die mit ihrer avancierten Formsprache und immersiven Ansätzen einen ganzheitlich intensiven Abend versprechen. Das Grazer Schallfeld Ensemble eröffnet diesen mit Werken von Arturo Fuentes, Andrés Gutiérrez, Hannes Kerschbaumer und Lorenzo Romano. Bekannt für seine virtuose Interpretation zeitgenössischer Stücke, legt das auf internationalen Bühnen gefragte Ensemble seinen Fokus auf die jüngere Komponisten-Generation. Die Interludes zum Programm liefert der Komponist Jorge Sánchez-Chiong. Begleitet werden sie vom kroatischen Medienkünstler Vedran Kolac alias onoxo, der seine Bilder synthetisch generiert und ihnen dabei eine erstaunliche Plastizität entlockt. Mia Zabelka und Tina Frank teilen die Faszination an der De- und Re-konstruktion von Klang und Bild, an audio-visueller Analyse und Synthese. Die Musikerin und Komponistin Mia Zabelka treibt die klanglichen Möglichkeiten ihrer Violine auf die Spitze. Ihr ekstatisches und dann wieder hoch konzentriertes Spiel vereint Strategien aus frühem Minimalismus, Avantgarde-Komposition und Noise. Die abstrakten Bilder der A/V-Künstlerin Tina Frank sind elegant und farblich ausgewogen komponiert. Ihr Feingefühl für die Synergien von Klang und Bild haben sich bereits in Kollaborationen mit Chicks on Speed oder Florian Hecker niedergeschlagen. Das Duo präsentiert an diesem Abend erstmals sein Projekt "Refraction", das die fragile und fragmentierte Zeit zum Thema hat.

SUBLIME GITARRENKLÄNGE
Christian Fennesz gilt als einer der innovativsten Gitarristen seiner Zeit. Seit den 90er Jahren aktiv, galt es damals noch als Pionierarbeit, Computer-Software mit den Klängen der E-Gitarre zu koppeln. Sein unnachahmlich sphärischer Sound gerinnt zu lichtdurchfluteten, melancholisch-sehnsüchtigen Stücken und manövriert uns in einen Zustand der Schwerelosigkeit. Unterstützt wird Fennesz vom Videokünstler Lillevan, der den meisten als Gründungsmitglied von Rechenzentrum bekannt sein dürfte. Dieser fügt abstraktes Filmmaterial, das er in Archiven aufgestöbert hat, zu auratischen Assemblagen. Als mittlerweile fast schon legendär gelten die körperlich-konfrontativen und brutal schönen Live-Sets des australischen Musikers Ben Frost. Auch dieser arbeitet mit verfremdeten Gitarrenklängen, die er zu Drones addiert, rhythmisch durchbricht und uns über eine Vielzahl an Verstärkern entgegenwuchtet. Seine kontrastreichen Klanglandschaften sind inspiriert von minimalistischen Kompositionen, die durch Verzerrung ins Maximalistische verkehrt werden und dabei einen monströsen Sog entwickeln. Der Videokünstler und Lichtdesigner MFO ergänzt das sublime Erlebnis mit einer ausgeklügelten Anordnung, für die er spezielle Projektoren mit beweglichen Spiegeln ausstattet und so ein ausgeklügeltes Spiel aus Lichtreflexionen ermöglicht.

ZWISCHEN INTENSIVER PSYCHOAKUSTIK UND EXZESSIVEM MINIMAL
Samstagabend wird Errorsmith im Dom im Berg zeigen, was es heißt, an die Grenzen der Clubmusik zu stoßen. Erik Wiegand ist schon seit zwei Dekaden in Deutschlands Clubszene aktiv und bekannt für seinen Avant-Techno. Auf seinem neuesten Release bedient er sich diverser rhythmischer Blueprints, von Dancehall über Kudoro und Cumbia, und fügt diese zu abgeschlackten, atemlosen Tracks. Sein exzentrischer Sound speist sich aus digitaler Klangsynthese: Konkret programmiert sich der Musiker  selbst die Plug-Ins. Trotz seines analytischen Zugangs ist er für eine der witzigsten Platten des letzten Jahres verantwortlich. Der Abend im Dungeon wird von Rashad Becker eröffnet, der eines seiner seltenen Dj-Sets gibt. Die legendäre britische Formation Nurse With Wound rund um Gründer Stephen Stapleton existiert seit 35 Jahren in wechselnder Formation. Seit einigen Jahren sind Andrew Liles, Colin Potter und Sarah Redpath Teil des Projekts. Gemeinsam generieren sie mesmerisierende Klangwellen-Musik, die lange im Körper nachhallt. Ihr Gespür für den körperlichen Effekt spezifischer Frequenzen erinnert an binaurale Strategien. Es ist Psychoakustik auf einem hohen Niveau, irgendwo zwischen Paranoia und Endzeit-Versenkung. Dunkle Séancen von einer betörenden Intensität. Ähnlich durchdringend sind auch die Kompositionen von Caterina Barbieri. Die italienische Musikerin hat vor einiger Zeit ihre Faszination für modulare Synthesizer entdeckt, allen voran den Buchla. Aus ihnen filtert sie hypnotische Arpeggios und polyrhythmische Sequenzen, die sie zu funkelnden Melodien vereint. Auf wundersame Weise bewegt sie sich zwischen beatlosem Techno und frühem Minimalismus, Komposition und Trance. Ziemlich konträr dazu ist das Solo-Projekt des Napalm-Death-Drummers Mick Harris, der seine Vorliebe für extreme Sounds seit einiger Zeit mals FRET auslebt und hier die düsteren Klänge auf den Dancefloor bringt. Inspiration für dieses ungewohnt tanzbare Projekt zieht Harris aus den UK-Bass-Genres ebenso wie aus den dunkel treibenden Rhythmen des Birmingham Techno. Die kolossal scheppernden Bässe, flirrenden Synths und vielspurigen Noise-Texturen werden vom A/V-Künstler Stormfield in energetischen s/w-Bildern interpretiert. Das abschließende Dj-Set kommt vom Grazer Awo Ojiji, der aus dem Umfeld der „disko404“ Familie kommt und frühe Sounds aus Chicago, Detroit und UK-Bass mit progressiven Sounds aus aller Welt vermengt.