ELEVATE: Wir haben heuer Creative Response als übergreifendes Festivalthema gewählt. Welche Rolle spielt Kreativität bei deiner Arbeit und in den Kontexten, in denen du dich dabei bewegst?
Als Aktivist der Tierbefreiungs- und Öko-Bewegung spielt für mich der Einfallsreichtum in den Aktionsformen natürlich eine nicht unerhebliche Rolle – wobei ich selbst leider zugeben muss, dass es meist die anderen sind, die mit Einfallsreichtum glänzen.
Ich muss dazu sagen, dass ich Kreativität und Spaß an der Aktion sehr wichtig finde. Wir sollten aber nicht vergessen, dass wir gegen ein System von extremer Stabilität und Wandlungsfähigkeit ankämpfen, das milliardenschwere zerstörerische Industriezweige hervorgebracht hat, die nicht nur mit Spaß-Aktionen und Kommunikationsguerilla zu beseitigen sein werden. Da braucht es darüber hinaus noch einmal eine Menge Durchhaltevermögen und noch viel mehr harte Arbeit.
ELEVATE: Welche Strategien und Aktionsformen hältst du für sinnvoll und erfolgversprechend wenn es um den Widerstand gegen herrschende Missstände und die pro-aktive emanzipatorische Veränderung unserer Gesellschaften geht?
Ich würde mal sagen, da sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt, solange weder Menschen noch Tiere dabei zu Schaden kommen! Aufklärungsarbeit ist sicher eine wichtige Sache, nur bedarf es oft mehr um ausbeuterische Unternehmen oder Politiken zu stoppen oder zumindest zu bremsen. In meinem Buch „Radikale Ökologie“ gibt es eine Vielzahl an Aktionsformen, die es wert sind, sie sich anzuschauen. Darunter sind aber auch manche, die zum Glück wieder verworfen wurden, weil sie sich einfach als zu gefährlich, repressionsanfällig und unvermittelbar herausgestellt haben.
Sinnvoll finde ich in jedem Fall Landbesetzungen, Tierbefreiungen, Adbusting etc. etc.
ELEVATE: Welche kreativen Aktionen von Bewegungen und Initiativen haben dich inspiriert und geben dir Mut und Hoffnung?
Es gibt unzählige tolle Aktionen, die es wert wären hier genannt zu werden: Spontan fällt mir ein Luftballonprotest im Zuge einer Kampagne gegen ein neues US-Tierversuchslabor ein. Hier wurde ein Schild mit Protestslogans an einen Haufen Luftballons gebunden und im Foyer des Bauunternehmens an die viele Meter hohe Decke steigen gelassen. Ein angebundener Personal Alarm macht das ganze noch etwas lauter (Video zur Aktion).
Und vielleicht etwas weniger kreativ, aber sehr inspirierend finde ich Massenaktionen des Zivilen Ungehorsams, wie bei Castor Schottern! oder unlängst beim Klimacamp im deutschen Rheinland, wo tausende Aktivist_innen antraten um die Polizeilinien zu durchfließen und den Braunkohle-Tagebau zumindest für einen Tag symbolisch zu stoppen.(Video zur Aktion)
ELEVATE: Was empfiehlst du Menschen, die selbst aktiv werden wollen? Wo und wie können sie mitwirken?
Es gibt unzählige niederschwellige Möglichkeiten, politisch aktiv zu werden. Sei es Adbusting, Straßenproteste oder was auch immer. Geht mit offenen Augen durchs Leben, die Notwendigkeit politisch zu intervenieren gibt es ständig.
Täglich versuchen Menschen unter Todesgefahr Krieg, Armut und Ausbeutung hinter sich zu lassen um ein klein wenig an unserem Wohlstand teilzuhaben; Tiere werden im Akkord gewaltsam geschlachtet und die Umweltzerstörung hat Dynamiken erreicht, die nicht mehr umkehrbar sind, und einzigartige Ökosysteme werden zerstört. Es gibt leider unvorstellbar viele Ansatzpunkte.
ELEVATE: Elevate setzt Themen und Schwerpunkte programmatisch miteinander in Verbindung, um Zusammenhänge und gemeinsame Herausforderungen hervorzustreichen. Wo siehst du Anknüpfungspunkte zwischen deiner Tätigkeit und jener anderer Festivalteilnehmer*innen? Welche Synergien könnten entstehen, wie könntet ihr zusammenarbeiten?
Anknüpfungspunkte gibt es nicht nur in den Theorien von Vandana Shiva, wie ich in meinem Buch dargestellt habe, sondern auch beim Thema Klimagerechtigkeit über das Tadzio Müller beim Elevate sprechen wird. Ich bin schon gespannt welche Querverbindungen sich in den Diskussionen ergeben und freue mich auf eine spannende Diskussion beim Elevate!
ELEVATE: In Welcher Gesellschaft möchtest du gerne leben? Welche Visionen geben dir Mut, weiterzumachen?
Eine gute Frage! Meines Erachtens sollen die Bedürfnisse von Menschen und Tieren im Vordergrund stehen – und nicht, wie das derzeit der Fall ist, Profitmaximierung und wirtschaftliches Wachstum. Ums kurz zu machen: Ich will in einer ausbeutungsfreien Welt, ohne Staat und Zwang leben; das würde heißen, Menschen achten das Leben von Tieren, organisieren sich selbst, nach Möglichkeit solidarisch und natürlich ökologisch. Da gäbe es nicht nur keine Schlachthöfe mehr, sondern auch keine Pestizid-verseuchten Flüsse und von Autos verparkte und von Wildtieren geleerte Städte. Das alles geht in Richtung eines Demokratischen Konförderalismus, wie ihn der US-Ökoanarchist Murray Bookchin vorgeschlagen hat, eine Idee übrigens, an der sich die kurdische Bevölkerung Nordsyriens unter schwierigsten, kriegerischen Bedingungen orientieren. In Rojava und den angrenzenden Kantonen versuchen kurdische Aktivist_innen seit 2012 eine selbstverwaltete solidarische Gesellschaft aufzubauen. Dass Menschen, selbst unter den widrigsten Umständen und unter den Angriffen des Islamischen Staates und des türkischen Militärs soviel Mut haben, gibt mir sehr viel Hoffnung!
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