Literatur
hoergeREDE 12
Festival für SprachKlangKunst & Geräusch
Eine Kooperation des Literaturreferats bei den Minoriten (Dr. Birgit Pölzl, Assistenz: Birgit Schachner) mit dem Elevate Festival und der ARGE hoergeREDE. Künstlerische Leitung: Christian D. Winkler. Co-Kuration: Sebastian Erlach.
Neben dem Musikprogramm findet 2012 zum bereits dritten Mal in Folge das experimentelle Sprach- und Klangkunst-Format „hoergeREDE“ als ein Festival im Festival statt: An zwei Spieltagen zeigt das Kulturzentrum bei den Minoriten Uraufführungen literarakustischer Text-Ton-Stücke, die eigens für diesen Anlass von Autor*innen und Musiker*innen erarbeitet wurden: Politische Dichtkunst trifft auf Avantgarde Jazz, Lautpoesie auf Noise und Soundart, Lyrik und Prosa auf verzerrte Gitarren, Electronics und Bass. In Anlehnung an die leitmotivische Auseinandersetzung des Elevate mit der Denkfigur der Apokalypse in Krisenzeiten widmet sich auch „hoergeREDE“ heuer den Motiven des Verschwindens, Sich-Auflösens, Veränderns, Neu-Beginnens, Wieder-Verschwindens und Wieder-Gewinnens von Ordnung, Form und Kontur. Was steckt hinter der Vorstellung des Verschwindens der Welt – eine Metapher für das Überwinden der alten, starren Ordnung? Eine Utopie der Befreiung des Individuums von Ideologie, Herrschaft, Regel und Zwang? Oder doch die Unmittelbarkeit einer realen Bedrohung, einer Welt in der Schieflage, deren Komplexität jedes Verstehen übersteigt? Fest steht: Ressourcenknappheit, Klimawandel, extreme soziale und ökonomische Ungleichheit, Ausbeutung, Entmenschlichung und Rechtsruck sind konkrete Herausforderungen unserer Zeit. Fest steht auch: Der Rückblick auf das vergangene Jahrhundert mit seinen endzeitlichen Weltkriegen, dem industriellen Töten, der totalitärer Unterdrückung und dem Verschwinden von Identität im Gleichschaltungswahn kollektivistischer Diktaturen hinterlässt eine Katastrophenstimmung, die nachwirkt – als halbbewusst erinnertes Menschheitstrauma, als erschreckende Einsicht in die menschliche Begierde nach Homogenität, Führung und Befehl, als Ratlosigkeit gegenüber der scheinbaren Unaufhaltbarkeit eines zeit- und systemunabhängigen Kreislaufs des Herrschens und Beherrscht-Werdens. Die großen Utopien und Visionen für eine gerechtere, sozialere und friedlichere Welt versickerten in der zunehmenden Skepsis gegenüber Ideologien, Heilslehren und ihren wechselnden Propheten. Schon Jahrzehnte herrscht in den Ruinen der zertrampelten Werte, in der raschen Abfolge von Weltbildern und Meinungen die beständige Klarheit des Zahlenwerts – der Markt wurde zur letzten verbleibenden Großmacht der Moderne. Die Folgen sind desaströs. Alternative Konzepte gewinnen an Bedeutung – es ist, so heißt es, kurz vor 12. Aber gelingt der Übergang zu einer offenen, engagierten Zivilgesellschaft, die der ökonomischen Vormachtstellung nachhaltigere Konzepte entgegenstellt? Kann sich nach dem Verschwinden stabiler Sinnstrukturen bei der gemeinsamen Interpretation von Welt und Wirklichkeit das friedliche Koexistieren unterschiedlicher Weltsichten durchsetzen oder kehrt sie wieder, die alte Sehnsucht nach Einheitlichkeit, nach einfachen Antworten, nach Sündenböcken und starker Führung? Muss sich tatsächlich alles ändern, damit das, was wir kennen, die Welt, bleiben kann, wie sie ist? Oder hat die anhaltende globale Krise schon jetzt zu einem Umdenken geführt, das breite Teile der europäischen Bevölkerung zu einem sensibleren Umgang mit der Abgabe von Macht, der Nutzung von Energie und den notwendigen Veränderungen im Kampf um ein Ende von Hunger, Krieg, Elend und Not bewegt? Und: Welche Rolle spielt bei all diesen sehr konkreten Fragen abstrakte Kunst?
Während das Diskursprogramm des diesjährigen Elevate Festivals den Fokus so nachdrücklich wie noch nie auf positive zivilgesellschaftliche Initiativen, auf konkrete Strategien und Handlungsoptionen für die Gestaltung einer lebenswerteren Welt richtet, verschreibt sich das hoergeREDE-Festival als kooperativer Beitrag zu dessen Kunst- und Musikprogramm ganz dem Verschwinden als Chance. Denn neben den verdrängten Menschheitstraumata, den gegenwärtigen Unfassbarkeiten und den drohenden Krisenszenarien verbirgt sich hinter der Vorstellung eines apokalyptischen Endes allen Lebens nicht nur das Potenzial, globalen Protest und Veränderungswillen mit einer Wucht zu beflügeln, die tatsächlich Berge versetzen kann, es steckt in ihr auch ein abstraktes, weit verzweigtes Netz aus Metaphern, kulturellen Beziehungslinien und Visionen, in dessen Gravitationszentrum die unstillbare Sehnsucht nach einer gerechteren Welt liegt. Wie in einer Zeit der gefühlten Ohnmacht aus der dystopischen Untergangsvision – dem wohl allumfassendsten Sinnbild für das Ausgeliefert- und Umklammert-Seins des Unveränderbaren – eine neue Utopie der Selbstbestimmung, der Mitgestaltung und Würdigung des je Einzelnen wird, welche Rolle dabei zeitgenössische Literatur und Musik spielen und wie für die Gefahren einer Wiederkunft alter Herrschaftsformen in den Ruinen des Überwunden-Geglaubten immer wieder neu sensibilisiert werden kann, das sind zentrale Fragen des diesjährigen Festivalprogrammes. Nach der Beschäftigung mit der Kategorie des Raumes in den Text.Ton.Stücken des Frühjahres folgt nun dessen Gegenteil: der Un-Ort, die Utopie. Den Kern bildet aber wie gewohnt das Beharren auf dem Beharrlichen, dem künstlerischen Ausdruck fernab von Zweck und Funktion. Flüchtig und zweckgemäß ist alles sowieso.
Christian D. Winkler
TICKETS « hoergeREDE 12
---- Eintritt nach eigenem Ermessen --------------------
«« "Pay as you wish" an der Abendkassa
«« Festivalpass: € 20,- regulär / € 10,- ermäßigt im VVK inkl. Sitzplatzreservierung
«« Tagesticket: € 12.50,- / € 6.50,- im VVK inkl. Sitzplatzreservierung
Ermäßigungen im VVK für SchülerInnen, StudentInnen, Arbeitslose, Zivil- und Grundwehr-Diener und PensionistInnen.
Das bestellte Ticket wird an der Abendkassa mit Sitzplatzreservierung hinterlegt. Zur Abholung ist ein gültiger Vorweis der jeweiligen Ermäßigung nötig.
Freier Eintritt mit Elevate-Ticket und für Inhaber des "Hunger auf Kunst und Kultur"-Passes sowie nach eigenem freien Ermessen.