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Samstag, 27. Okt - 27.10.2012

Großer Minoritensaal
   
20:00 - 23:00

Barbi Marković (rs)Burkhard Stangl (at)

Christine Schörkhuber (at)Veronika Mayer (at)

Bodo Hell (at)Ritornell (at)



« Text.Ton.Stück III
"Mars Eins"

Barbara Marković: Stimme, Text
Burkhard Stangl: E-Gitarren, Klavier, Electronics

Der Samstag beginnt mit einem Text.Ton.Stück der 1980 in Belgrad geborenen Autorin und ehemaligen Grazer Stadtschreiberin Barbi Marković gemeinsam mit dem Musiker, Komponisten und Klangkünstler Burkhard Stangl. Markovićs Debütroman „Ausgehen“ überraschte 2009 durch seine minutiöse sprachliche Übertragung von Thomas Bernhards Gedankenerzählung „Gehen“, die sie aus dem Wien der 70er Jahre in das gegenwärtige Nachkriegsbelgrad hievte. Aus dem bernhardschen Spaziergänger, der seine Gedanken zwischen Stillstand und Bewegung stets abseits der großen Trampelpfade in den Seitengassen entwickelt, wird bei Marković das beschleunigte allabendliche Ausgehen in der Belgrader Clubkultur, aus den philosophischen Denkverirrungen randständiger Figuren wird die Übersättigung durch eine dauerberieselnde moderne Unterhaltungsindustrie, aus dem Rückzug ins Sanatorium von Steinhof die Resignation vorm Fernsehgerät. Von der Kritik umjubelt wurde das Buch aber nicht nur dank seiner scharfen Kontrastierung, die durch die formal und sprachlich streng an der Vorlage orientierte Schreibweise sichtbar wurde, sondern auch wegen der Gegenüberstellung zweier Zeiten, die an den bitteren Seelenspuren totalitärer Systeme leiden. Welche Arbeit Marković, die zu einer literarischen Symbolfigur der Belgrader Subkultur wurde, im Rahmen des Festivals vorstellt, darf mit Spannung erwartet werden. Gestaltet wird sie gemeinsam mit einem der international profiliertesten Experimentalmusiker der heimischen Szene: Burkhard Stangl. Nach einem Studium der Ethnologie und Musikwissenschaft war er in so zahlreiche Konstellationen und Projekte involviert, dass mittlerweile mehr als 50 Tonträger, dazu kleine Filme, Essays und musiktheoretische Bücher von ihm veröffentlicht sind. Die Bandbreite ist groß: Von „surrende[n], rauschende[n], fauchende[n], zischende[n] Klangkontinuen in verschiedensten Körnungen“, von einem weiten „vibrierenden Klangspektrum“ aus abgehackten Piano-Samples, verzerrten und gezupften (E-)Gitarren-Seiten, von flimmernder, dann wieder flächiger Elektroakustik und einem immer wiederkehrenden Innehalten in der Stille ist die Rede, wenn über seine zahlreichen Kompositionen für Orchester und Ensemble, seine Solo-CDs mit Gitarre und Elektronik oder seine zahlreichen Auftritte als experimenteller Improvisationsmusiker gesprochen wird. Er selbst spricht von einer „Musik ohne Bindung, aber mit vielen Bezugspunkten“ – darunter die Rock- und Popkultur der sechziger und siebziger Jahre, die Zweite Wiener Schule, Free Jazz und Neue Musik.

 

« Intervention II
"Tagency + Datatongue"

Eine Verbindung von Lautpoesie, Rauminstallation, Performance und Elektroakustik zeigen im Anschluss daran die beiden Künstlerinnen und Experimentalmusikerinnen Veronika Mayer und Christine Schörkhuber. In ihrem gemeinsamen Projekt „Tangency“ erforschen sie mit Kontaktmikrofonen die verborgenen Geräusche in den Rillen und Ritzen, der Oberflächentextur des umgebenden Raumes, für ihre Klanginstallation „PHOEBUS 2011“ bauten sie Schallverstärker in Glühbirnen ein, die fragil klingend als Exempel der Unbeständigkeit profitorientierten Strebens von der Decke hängen. Für die spezielle Sound-Performance im Rahmen des hoergeREDE-Festivals erweitern sie die beiden Arbeiten um Field Recordings aus unwirtlichen Industrielandschaften. Ergänzt wird das Ganze mit zeitgenössischer Lautpoesie – kein anderes Genre der Literatur erinnert so stark an die Schrecken einer durchhierarchisierten, kriegstreibenden Welt. Auf die Sinnentleerung der beiden Weltkriege reagierten die frühen Lautpoeten mit sinnentleerten Gedichten, auf die Zerstörung und Auflösung des Menschen folgte die Zerstörung und Auflösung seiner Sprache; die entmenschlichenden Arbeitsbedingungen in Industrie und Wirtschaft versinnbildlichten sie mit einer Entmenschlichung der Sprache, der Reduktion auf ihre urgewaltige Lautlichkeit; der totalitären Unterdrückung setzten sie eine Auflösung der strukturellen Hierarchien von Syntax und Grammatik entgegen. In Zeiten zunehmender Radikalisierung rechtsextremer Strömungen, eines Generationenwechsels, der mit dem Sterben vieler Zeitzeugen der großen kriegerischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts einhergeht, sowie des Fortbestehens eines menschenverachtenden Diktats ökonomischer Prinzipien, die auf dem des Fressen-oder-Gefressen-Werdens basieren, bekommen lautpoetische Experimente an der Grenze zur Auflösung menschlicher Identität eine erschreckende Aktualität.

 

21:30 Uhr
« Text.Ton.Stück IV
"Kaskad/Kümmernis"

Nach dem lautpoetischen Klang-Intermezzo findet als finales Text.Ton.Stück des Festivals die Zusammenarbeit von Bodo Hell mit der herausragenden jungen Musikformation Ritornell statt. Denn dass Sprache bei aller philosophischen, weltanschaulichen und politischen Kritik nicht nur Träger unreflektierter Ideologien und bedrohlicher Ordnungsprinzipien ist, sondern auch der Kern jeder Erschaffung von (poetischen) Gegenwelten, bildet neben vielem anderen ein zentrales Element in der Dichtkunst Bodo Hells. Seine zahlreichen Gemeinschaftsarbeiten mit zentralen Figuren der sprach- und formbewussten Nachkriegsavantgarde wie Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, seine hoch rhythmisierte Sprach- und Sprechmelodik und die ganz besondere Collagetechnik, mit der er belanglosen Alltagsjargon neben philosophische Fragmente, urbane Werbeslogans neben alpine Pflanzenbeschreibungen, religiöse Mythologien neben zeitgenössische Sprach- und Weltdekonstruktion stellt, machen ihn zu einem Dichter, der mit viel Humor und Lust auf die Sprache blickt. In all seinen Arbeiten schwingt das assoziative Spiel mit den vielfältigen Variationen menschlichen Denkens mit, eine schier unendliche Fabulier- und Formulierfreude an der Sprache als Stifterin so vieler möglicher Welten. So wie Hell mit hoch avancierten Verfahren der Dichtkunst auf schlicht lebensbejahende Weise mit den Diskursen und Bausteinen unserer komplexen Versuche von Weltaneignungen spielt, so schrecken auch auf die hochkomplexen Klangarbeit der beiden Musiker Richard Eigner und Roman Gerold aka Ritornell nicht vor den hier und da aufkeimenden Sprösslingen einer Melodie, eines Schönklangs zurück. Stark inspiriert von den postmodernen Theorien des Verschwindens (als ständig sich auflösende und neu findende Strukturierung von Sinn im Sinnlosen) verfremden sie gelegentlich Alltagsgeräusche, Aufnahmen von Bahnhöfen und Fabrikshallen, von Gebirgsbächen und dem Zirpen der Grillen in den Wiesen zu gleichermaßen verspielten wie reduzierten Klangemulsionen. „Denoising“ nennt Richard Eigner eines der vielen (auch theoretisch detailliert umrissenen) Prinzipien ihrer Musik. Live verweben sie eine Vielzahl selbst gebastelter Klangquellen mit Field Recordings, elektronischen Klängen und den manchmal präparierten, manchmal elektronisch verfremdeten, meist aber natürlich bleibenden Geräuschen klassischer Instrumentierungen – Eigner ist ein gefragter Schlagwerker mit Hang zum Experiment, Gerold hat eine klassische Klavierausbildung hinter sich –, bis ein einmal zart und zerbrechlich, dann wieder wuchtig und dicht verknüpfter Klangteppich entsteht; gemeinsam mit Bodo Hells unstillbarer Lust auf Sprache ein kräftiger Abschluss der Text-Ton-Reihe hoergeREDE.