Interview: Magdalena Reiter

Mittwoch, 16 Oktober 2013

Wir haben unsere Gäste zu grundlegenden Fragestellungen des Festivals befragt. Hier die Antworten von Magdalena Reiter. Magdalenas Arbeitsschwerpunkt ist Open Design. Sie wird am Samstag um 18.30 beim Elevate Festival ins Thema Open Hardware einführen.

ELEVATE: Was bedeutet Open Everything für dich?

Meist aus wirtschaftlichen Gründen wurden in den letzten Jahrzehnten proprietäre Rechte, Privatisierung und Monopolisierung forciert. Die Zuspitzung dessen war es vielleicht, die den Wunsch nach Transparenz und Teilhabe ausgelöst hat. Er hat insbesondere in den letzten Jahren dazu geführt, dass sich mehr und mehr Bereiche wieder öffnen. Ganz vorne ist da als Pionierin Open Source Software zu nennen, die jetzt nach und nach von Open Data, Open Educational Ressources, Open Access, Open Sciene oder auch Open Design und Hardware begleitet wird.

ELEVATE: In welchen Bereichen ist Openness für dich besonders wichtig? Welche aktuellen Entwicklungen nimmst du dort gegenwärtig wahr? Mit welchen Herausforderungen sind wir konfrontiert?

Ich beobachte zwar alle Bereiche mit Neugierde, aber weil ich selbst Designerin bin, ist Open Design für mich natürlich das zentrale Thema. In den letzten Jahren hat sich auf dem Gebiet viel getan. Zu großen Teilen ist das gar nicht bewusst und ohne Open Design als Begrifflichkeit, geschehen. Weil das Internet als große Teil- und Kopiermaschine bequem für uns zu bedienen geworden ist, haben Leute einfach angefangen, zu zeigen, wie sie Kirschkuchen backen, Elfenkostüme nähen, aus Beton Lampen gießen oder LED-bestückte Drohnen bauen. Neben der engagierten Arbeit von zahlreichen Laien ist dabei aber auch eine Professionalisierung immer sichtbarer geworden – aber das natürlich nicht nur im Bereich Design. Parallel dazu hat Open Source bewiesen, dass es ein sehr gut funktionierendes Konzept ist und somit auch einen theoretischen Anfang und einen ideellen Stellenwert von Open Design geprägt. Auch wenn immer mehr Bewusstsein für die Öffnung im Design entsteht, bleiben Herausforderung für die nächsten Jahre. Einerseits gilt es Wirtschaftsformen zu generieren, die nachhaltig Open Design fördern. Das zweite große Thema ist das UrheberInnenrecht, das noch nicht fit genug ist für kollaboratives Arbeiten und solch offene Strukturen.

ELEVATE: Die neue Openness birgt großes Potenzial für Selbstermächtigung und Partizipation, aber auch die Gefahr der totalen Überwachung, Kontrolle und verschärften Ausbeutung und Unterdrückung. Wie schätzt du die Situation ein: welche Tendenz überwiegt?

Offenheit und Privatsphäre sind vielleicht oberflächlich gesehen zwei gegensätzliche Pole. Für solche selbstermächtigenden und partizipatorischen Momente brauchen wir aber beide – nur eben an den richtigen Stellen. Wir können deswegen das eine nicht gegenüber dem anderen ausspielen. Was wir (als Privatperson, Unternehmen oder Regierung) also lernen müssen, ist, welche Daten und Informationen als grundsätzliches Gemeingut einer Gesellschaft zustehen und welche im Gegensatz dazu für Individuen oder Gruppen schützenswert sind und deswegen privat bleiben müssen. Personenbezogene Daten stehen da bestimmt an vorderster Stelle.

ELEVATE: Was müsste gemacht werden, damit das emanzipatorische Potenzial der Openness genutzt werden kann?

Wichtig wird es, einen Rahmen zu schaffen, in denen nicht nur Zugänge zu Informationen für alle bereitstehen, sondern in denen auch alle als Quelle für Informationen partizipieren können. Damit meine ich natürlich nicht einen Freifahrtsschein für jegliches Gedankengut, sondern vielmehr eine Herstellung von Chancengleichheit, gehört zu werden. Von einer Demokratisierung können wir erst sprechen, wenn ein Spiegel der Gesellschaft auch in den Informationsquellen abgebildet ist. Da haben wir allerdings noch eine große Hürde vor uns. Als Beispiel beweist das leider Wikipedia, das noch immer zum Großteil von „middle-aged white guys“ geschrieben wird, obwohl es vielleicht das bisher erfolgreichste und bestimmt bekannteste „offene“ Projekt ist.

(Siehe dazu auch: Netzpolitik und derStandard)

ELEVATE: Für wie wichtig hältst du den Schutz der Privatsphäre und privater Daten? Ist die Gesellschaft der Zukunft vielleicht eine Post-Privacy-Gesellschaft?

Mit dem Verlust von Privatsphäre, den wir ja durchaus schon erfahren haben, ändern sich natürlich auch die gesellschaftlichen Kulturtechniken. Vielleicht ändert sich der Umgang mit Schamgefühl oder offener Kritik – das kann, aber muss nicht negativ sein.

Wirklich gefährlich finde ich hingegen, wenn große Mengen an Daten monopolisiert sind und nur wenige die Berechtigung oder Fähigkeit zum Lesen dieser Informationen besitzen. Denn das ist gewiss ein fruchtbarer Boden für Missbrauch. Auch personenbezogenen Daten müssen von den Individuen selbst freigegeben werden.

ELEVATE: Wie werden die neuen Technologien, Produktionsweisen und Kommunikationsmöglichkeiten die Gesellschaft deiner Meinung nach verändern?

Da spricht jetzt wieder die Designerin aus mir: Die Neuzeit seit dem 15. Jahrhundert war stark geprägt von dem Entdecken und Erfinden von Neuem –  ihr Name verrät es uns ja schon. Im letzten Jahrhundert haben wir dieses Phänomen Innovation genannt und es an wirtschaftliche Erfolge geknüpft. Mittlerweile haben wir aber die Möglichkeiten, unglaublich große (digitale) Archive aufzubauen. Aus ihnen können wir eine Vielzahl an benötigten Informationen oder adäquaten Lösungsvorschläge, die bereits vorhanden sind, ressourcenschonend und oft sogar kostenlos rausziehen. Wir werden natürlich nicht ohne neue Entwicklungen auskommen, aber ich habe die Hoffnung, dass das Neue per se bald nicht mehr allein im Mittelpunkt steht. Die Tendenz dahin  sehen wir ja teilweise schon und ich denke, das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Reflexion. Aus ökologischen, sozialen, aber auch ökonomischen Gründen ist es notwendig geworden, sich den Fragen zu widmen, wie oder weshalb wir produzieren und nicht nur was oder welche Farbe es hat.

ELEVATE: Wie können wir alle zu positiven Veränderungen beitragen?


Man muss nicht unbedingt selbst produzieren, um an einer Veränderung beizutragen. Ein erster Schritt ist, sich ein Bewusstsein über die Dinge zu bilden, die wir tagtäglich konsumieren. Dabei auch im Hinterkopf zu behalten, dass es bereits viele Alternativen gibt, die auf offene und faire Strukturen bauen, und diese auch zu fördern, ist wahrscheinlich ein guter Anfang.

Magdalena Reiter

> Selbstbestimmt Produzieren