Literatur
hoergeREDE 11
Festival für SprachKlangKunst & Geräusch
Eine Kooperation des Literaturreferates bei den Minoriten mit dem Elevate Festival und der ARGE hoergeREDE.
Intendanz: Christian Winkler. Co-Kuration: Sebastian Erlach.
Pünktlich zum Start des Elevate ist es wieder so weit: Das neue Grazer Literaturfestival hoergeREDE präsentiert von 20.-23.10.2011 im Schlossbergstollen „Dom im Berg“ und in den Räumlichkeiten der Minoriten an vier Tagen sechs einmalige Uraufführungen akustischer Kunststücke, die eigens für diesen Anlass von je einer/m Autor_in und einer/m Musiker_in erarbeitet wurden. Am zweiten Festivaltag steckt eine prominent besetzte Gesprächsrunde in Kooperation mit der Zeitung „Der Standard“ unter dem Motto „Nach den Utopien – Visionen für Avantgarde und Zeitkritik“ den inhaltlichen Rahmen des Festivals ab. Das gesamte Programm kann bei freiem Eintritt besucht werden!
Donnerstag, 20.OktDom Im Berg - lesung / performance - Hörstück 1.11 - „stellung nehmen.“ |
|
---|---|
22:00 - 23:00 |
Marlene Streeruwitz (at)B. Fleischmann (Morr Music/at)Christof Kurzmann (Charhizma/at) |
Freitag, 21.OktGroßer Minoritensaal - Nach den Utopien – Visionen für Avantgarde und Zeitkritik - in Zusammenarbeit mit „Der Standard“ |
|
---|---|
18:30 - 20:30 |
Gerhard Rühm (Dichter,Kopf der Wiener Gruppe/at)Daniela Seel (Verlegerin,Autorin/de)Ferdinand Schmatz (Autor,Dozent/at)Anja Utler (Autorin/de) |
Großer Minoritensaal - lesung / performance - Hörstück 2.11 - "fest hier" |
|
---|---|
20:00 - 21:00 |
Anja Utler (Autorin/de)Low Frequency Orchestra (chmafu nocords/at) |
Großer Minoritensaal - lesung / performance - Hörstück 3.11 - „sprechtänze. solotexte und duette.“ |
|
---|---|
21:00 - 22:00 |
Gerhard Rühm (Dichter,Kopf der Wiener Gruppe/at) |
Samstag, 22.OktKleiner Minoritensaal - lesung / performance - Hörstück 4.11 - „wir bauen den schacht zu babel, weiter“ |
|
---|---|
20:00 - 21:00 |
Ferdinand Schmatz (Autor,Dozent/at)Franz Hautzinger (GROB/at) |
Kleiner Minoritensaal - lesung / performance - Hörstück 5.11 - „dazwischen wird immer miete fällig“ |
|
---|---|
21:00 - 22:00 |
Daniela Seel (Verlegerin,Autorin/de)Janine Rostron (DFA/de) |
Sonntag, 23.OktDom Im Berg - performance - Hörstück 6.11 - „nein, wir reflektieren nicht“ |
|
---|---|
22:30 - 23:30 |
Laokoongruppelive (Konkord/at)visuals: Adnan Popovic (at) |
Nach den Utopien
Im zweiten Jahr seines Bestehens widmet sich das Sprach- und Klangkunstfestival hoergeREDE der Suche nach Zukunftsvisionen für die Verbindung von Avantgarde und Zeitkritik in einer mentalitätshistorisch zutiefst gespaltenen Zeitgeistigkeit. Wer schon alles kennt, schon alles gesehen und schon alles probiert hat, aber trotzdem erlebt, wie alles beim Alten bleibt, oder schlimmer noch, wie alte Herrschaftsstrukturen in neuem Gewand wiederkehren, während in der Kunst der Kampf zwischen traditionalistischen Neokonservativen und postmodern Beliebigen kein Ende zu nehmen scheint, beginnt zu zweifeln an allen Formen von Utopien und Visionen; eine sonderbare Mischung aus selbstbestimmter Aufgeklärtheit und resignativer Abgeklärtheit macht sich breit.
Auch nach den ersten zehn Jahren des neuen Jahrtausends scheint es eine tiefe Leere in den Köpfen der Menschen zu geben: Das Verschwinden der großen Utopien, die berechtigte Skepsis gegenüber Ideologie und Heilslehre, gegenüber Dogma und (Denk-)Verordnung entlassen das Schäfchen Mensch in ein offenes, stürmisches Meer, dessen berstende Brandung um sich schlägt und jegliche Orientierung zu verschlucken droht. Gegen die alten Stürme aus Krieg und Unterdrückung, Armut und Hunger, Verteilungsungerechtigkeit und Perspektivenknappheit hilft keine Insel der Seligen, auch kein treibendes Brett bespickt mit einer Rückbesinnungen auf alte Werte – die Nachwehen des realpolitischen Scheiterns der letzten großen weltlichen Heilsversprechung vor 22 Jahren wirken auch im elften Jahr des neuen Jahrtausends kräftig nach; der Rückzug in den Elfenbeinturm der schönen Künste rettet nicht aus den Meeresstürmen, er erleichtert lediglich das Ertrinken.
Grund genug, nach den Perspektiven für die Verschränkung von experimentellen und eingreifenden Kunstformen zu fragen: Wie lassen sich Ästhetik und Widerstand verbinden? Wie lässt sich die Kunst aus den Fängen der Marktstrateg_innen lösen? Wann politisiert sich der Kunstbetrieb endlich wieder? Hat Kunst kein rebellisches Potenzial (mehr)? Und warum stößt sich keine_r der Verantwortlichen so richtig an der immer größer werdenden Kluft zwischen schöner Ästhetik und den realen Produktionsbedingungen, unter denen Künstler_innen heute arbeiten müssen? Fürchten sich denn alle vor einer Verflachung, vor einer politischen Kunst, die ohne Kunst keine Kunst mehr ist, oder ist es doch die Angst vor einer Empörung, die Kunst und Gesellschaft mit Vorliebe als getrennte Bereiche wissen will?
Fest steht, dass eine einander wechselseitig bedingende Beziehung zwischen den Künstler_innen, ihren Werken, Theorien und Visionen und der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Realität besteht. Zwar wird die und der Künstler_in in aller Regel stärker von ihrer/seiner Zeit als die Zeit von ihren Künstler_innen beeinflusst, dennoch: Die Utopie eines/r ästhetisch autonomen, formbewussten und zugleich gesellschaftlich eingreifenden Akteurs oder Akteurin bleibt am Leben, solange der Widerspruch zwischen abstrakter Schönheit und widerständigem Protest ungelöst ist.
Die begriffslosen Klänge der Musik und die weltabgewandten Laute der Poesie tun sich allerdings schwer, politisch zu sein; dabei hat Literatur Sprache, Diskurse, Begriffe und Wörter, und ein Hören ohne Denken ist unvorstellbar. Aber ohne Wörter wie wild geworden als Waffe auszuschlachten, ohne dem Pathos der Propaganda zu verfallen, lässt sich der tiefe Graben zwischen künstlerischer Substanz und eingreifender Subversion nur schwer überwinden. Wie lässt sich Abstraktion und Angriff, Ästhetik und Protest verbinden? Oder ist ästhetisches Handeln in einer Zeit der Gewinnmaximierung schon an sich eine Form von Widerstand?
„Elevate the 21st Century“
Eingebettet in das zentrale Thema des diesjährigen Elevate Festivals zeigt hoergeREDE dieses Jahr, welch unerschöpflich großes, zugleich ästhetisches wie politisches Potenzial im Spannungsbereich von Literatur und Musik, von Text und Geräusch, von Avantgarde und Kritik steckt.
Denn während andre vor dem Terror der Ökonomie ob seines wilden Um-sich-Greifens in allen Lebens-, Bewusstseins- und Handlungssphären des Menschen zittern, eröffnet hoergeREDE als Literaturprogramm des Elevate Festivals und gleichsam eigenständiges „Festival im Festival“ ein neues, garantiert marktuntaugliches Experimentierlabor: