Freitag, 25. Okt

Großer Minoritensaal - hoergeREDE 13
Text.Ton.Tag II

20:00 - 23:00

dieb13 (at)Phil Minton (uk)

Electric Indigo (at)Olga Flor (at)



Der dritte Festivaltag eröffnet in der Minoritengalerie mit der zentralen Podiumsdiskussion des Festivals, die sich unter dem Titel „Macht nach der Krise. Transparenzgesellschaft, simultane Demokratien oder Weltregierung?" dem vielfältigen Macht-Begriff in seinen gegenwärtigen Möglichkeitsformen widmet: Ausgehend von terminologischen Begriffsbestimmungen, die das Spannungsfeld von Repression, Steuerung, Verordnung vs. Engagement, Ermöglichung und Emanzipation abstecken, soll es um brennende Fragen der Gegenwart gehen: Wie kann dem mangelnden Steuerungspotenzialen der Politik angesichts einer ungebrochen globalisierten Ökonomie neues Potenzial verliehen werden, ohne demokratische Strukturen zu gefährden? Welches Möglichkeiten, welche Gefahren stecken in den Verheißungen der digitale Demokratie und anderer Mitbestimmungstools? Wohin verschiebt sich das Souverän gegenwärtig - Postdemokratie, Simultane Demokratien oder Open Society? Woher rührt die Diskrepanz zwischen den vielfältigen Mitgestaltungsmöglichkeiten der 'Offenen Gesellschaft' und einer gefühlten Ohnmacht, die den mentalitätshistorischen Status Quo genauso kennzeichnet, wie ein starkes Aufbruchs- und Erneuerungsbedürfnis? Namhafte PhilosophInnen, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und JournalistInnen wie Rita Bischof, Roberto Nigro, Isolde Charim und Klaus Firlei diskutieren diese und andere Fragen, stets mit Blick auf künstlerische Strategien und Werke, in denen sich diese Fragen spiegeln.

Das künstlerische Programm im Anschluss transzendiert die konkreten Fragen der Diskussion in die Sphäre klangkünstlerischer Abstraktion. Den Auftakt macht der Schweizer Experimentalgitarrist Philipp Schaufelberger mit dem Dichter und Theatermacher Raphael Urweider. Schaufelbergers musikalisches Schaffen spannt einen hintersinnigen wie virtuos explosiven Bogen über die Gräben zeitgenössischer Musiklandschaften, deren Geografien er mit einmal schrofferen, einmal weicheren Morphologien durchzieht. Multimediale Opernproduktionen mit dem ‚ensemble für neue musik zürich’ finden sich ebenso wie kompositorische Tätigkeiten für Hörspiele und Jazzkollaborationen mit Größen wie Dewey Redman, Paul Motian, Greg Osby und Peter Herbert. Der 1974 geborene Urweider zählt seinerseits zu den wichtigsten Gegenwartsautoren der Schweiz. Theaterstücke ua für das Maxim-Gorki-Theater oder das Hamburger Schauspielhaus, Auftritte als Rapper der HipHop-Gruppe L’deep oder seine Tätigkeit als Leiter des Schlachthaus Theaters Bern machten ihn international bekannt. Sein sprachlich sinnliches Feinsensorium lotet häufig die Grenzen zwischen Material und immateriellen Bewusstseinsinhalten aus, seine Gedichte sind nicht mehr Spiegel einer Welt, die feststünde in normierter Deutlichkeit, sondern Handlungen in und mit Sprache, sind fraktale Verzweigungen politisch, sozial und vor allem sprachlich vorgeformter Wirklichkeitsräume, deren einstige Totalitarismen Urweider poetisch destruiert. Nicht zu letzt sind seine Texte hochrhythmisierte Sprachspiele voller Humor, Ironie und Gegenwart.
Als akustisch installative Intervention wartet danach der britische Vokalist, Avantgarde-Jazzer und Improvisationsmusiker Phil Minton mit dem Gründer des heimischen Sub-Musik-Netzwerks klingt.org, dieb13,auf. Bestückt mit mehreren interagierenden Plattenspielern, selbst gepressten Experimental-Dub-Plates, diversen elektronischen Divices begleitet, überlagert und untermalt dieb13 die beeindruckende lautpoetische Vokalkunst von Phil Minton, der zu den gefragtesten Lautartisten der freien Improvisationsszene zählt. Seine hier subtilen, bald ins Ekstatische, immer ins Humorvolle reichende Stimmeskapaden zählen zu dem Spannendsten, das zeitgenössische Lautpoesie zurzeit parat hält. Die abstrakten Noise-Flächen von dieb13, auf, neben, unter und in denen die Lautpoesie von Minton changiert, speisen sich einmal aus den Selbstlauten und Feedbackschleifen miteinander verknüpfter Plattenspieler, zum anderen aus Field-Recordings, Rundfunk-Mitschnittn und Aufnahmen von geopolitisch brisantem Zeitgeschehen wie Demonstrationen, Reden, Kriegsschauplätzen. Als Verfechter der Open-Source-Idee mit Wurzeln in der musique concrete erhebt er den konstruktiven Kontrollverlust der Fluxusbewegung zum Arbeitsprinzip seiner stets immer auch fein organisierten Klangstrukturen.
Eine speziell für die quadratische Raumstruktur des ‚ImCubus’ produzierte Mehr-Kanal-Installationen bespielen im Anschluss die Komponistin, DJain, Linguistin und international beachtete Elektronik-Musikerin Susanne Kirchmayr, die als Electric Indigo zu den Wegbereiterinnen der Techno-Kultur zählt und mit ihrem Netzwerk „femal pressure“ das erste feministische Techno-Label gründete. Der Text, den Susanne Kirchmayr abstrahieren, filtern, zerstückeln und wieder zusammenführen wird, stammt von der sozialpolitisch hochsensiblen Prosaautorin Olga Flor. Ihre viel beachteten Bücher handeln von Macht, Schuld und Ausweglosigkeit im angebrochenen postdemokratischen Zeitalter, von dem als überwunden geglaubten Autoritären, vom Wunsch nach Würde und Menschlichkeit im alltäglichen Wahnsinn des Spätkapitalismus. Kirchmayrs fragile Kompositionen changieren zwischen Club und Avantgarde, speisen sich aus wuchtigen Lärmkaskaden, klaren Soundstrukturen, tiefen Bässen und einem verfremdenden, immer präzisen Spiel mit Rhythmus, Mikrotonalität und verschobenen Phasenstrukturen. Kommt Text ins Spiel, sind es die kleinsten Bausteine der Sprache, die Bedeutungsschichten des Textes, die Starrheiten eines Verweissystems, das sie aufzulösen und neu zusammenzusetzen versteht. Gemeinsam mit Olga Flors minutiöser Spracharbeit gelingt ein sinnliches wie sinnbildliches Ringen um Ausdruck, Selbstbestimmung und Widerständigkeit im Grotesken, das eng verflochten mit konkreten mentalitätshistorischen Begebenheiten immer als gesamtheitliche, naturwissenschaftlich distanziert erzählte Parabel des überforderten Individuums im Schatten übermächtiger, (post)totalitärer Systeme gelesen werden will.