In meinem sich doch schon über fast vier Jahrzehnte erstreckenden Dasein haben mir nur gezählte zwei Lebewesen in einem Club (mehr oder weniger trunken) erklärt, dass sie bereit wären, für die Befreiung der Frauen zu kämpfen. Beide Lebewesen versuchten sich durch dieses Manöver vom schlechten Gewissen darüber zu befreien, dass sie einen Penis mit sich führen und damit nicht der Fortpflanzung dienlichen Spaß haben. Da ich meinen von Schwergewichtsbass geschädigten Ohren nicht trauen wollte, fragte ich schüchtern nach, ob ich für sie auch in die Kategorie zu befreiendes Lebewesen (= Frau) falle, wovon genau sie mich befreien wollen und wie einem zu befreienden Lebewesen von ihnen geholfen werden kann, ohne dass durch diesen Akt des wohltätigen Gerechtigkeitsdrangs bestehende Hierarchien affirmiert werden.
Womens Liberation für’n Arsch?
Dieser ritterliche Impuls, wahlweise zu befreien oder zu beschützen, ausgeführt von Wesen mit welchen Geschlechtsorganen auch immer und wie auch immer diese eingesetzt werden, hat (nicht nur) im Strobogewitter der durchtanzten Nächte einen blinden Fleck: Es wird von den Befreiern und Beschützern welcher Kategorie auch immer übersehen, dass Kreatur sich aus keinem anderen Grund als der Freude am eigenen Körper gebärdet und die Paarungs- und Begattungstänze (ob sie mit menschlichen oder nichtmenschlichen Aktanten durchgeführt werden, am Dancefloor oder anderswo) nichts anderes sind als autoerotische, dem Selfempowerment dienende Exzesse, jenseits des Regimes der Blicke der Anderen.
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Zur allgemeinen Erheiterung zwei Anekdoten aus der wunderbaren Welt der Bass Culture, die mir höchstpersönlich widerfahren sind und die Beschützertum zerbröseln ließen wie Afterhour-Besucher*innen im Sonnenschein.
Schauplatz eins, Wien Praterstern, Fluc, 1.5.2009: DJ Assault ist aus Detroit angereist, um uns mit seinem Ghetto-Biologismus zum Bouncen zu bringen. Assault ist Funktionalist durch und durch, kommt, spielt seine Tracks, schaut konzentriert bis grimmig und zieht wieder ab. Er ist ein Mann der schnellen Übergänge, nicht der großen Worte. An diesem denkwürdigen Abend fühlte sich ein anwesendes, sich selbst der Kategorie Frau oder vielleicht auch Bitch zurechnendes Wesen direkt von Assaults Musik angesprochen und beleidigt. Beherzt erklomm das Wesen die Bühne und leerte 500 ml Bier über Assault und seinen Laptop.
Ich Opportunistin stand in meinem 80er-Jahre-2-Live-Crew-T-Shirt da und überlegte, wie schön es als Geste wäre, dem biertriefenden Assault mein „We Want Some Pussy“-T-Shirt zum Bieraufwischen zu geben, aber andererseits es ist schon so alt und filigran und was ist, wenn ich mich dann verkühl und so weiter und so fort ... als die Dame neben mir ihr T-Shirt auszog und es Assault hinwarf, der ihr ein gehauchtes „Thank you Baby!“ zurückwarf. Was aber den Abend zu einem wahrlich unvergesslichen und wunderschönen machte, ist Assaults Handeln nach seinem Set. Anstatt mit einem beleidigten „Ihr versteht mich alle hier nicht, ihr Banausen“ sofort ins Hotel abzurauschen, blieb er im Club und ging zu allen Anwesenden, bedankte sich fürs Kommen, machte Komplimente fürs Outfit und versicherte sich im kurzen Smalltalk, ob die Menschen wussten, wofür sie hier stehen und wofür er hier steht, und ob sich daraus eine Schnittmenge bilden lässt.
Schauplatz zwei, Rio de Janeiro Niteroi Shopping, Bobs Burger, 15.4.2007: Ich war zu Gast am Planeten Baile Funk und saß mit drei MC-Helden der Vorstadt in einem Burgerladen im New Jersey von Rio. Die MC-Helden der Vorstadt konnten es nicht glauben, dass es in Europa tatsächlich verwirrte Seelen gibt, die das lieben, was sie tun, und ich konnte nicht glauben, dass sie nichts Besseres zu tun haben, als bei Bobs Burger rumzusitzen und stundenlang irgendeiner dahergelaufenen Touri die jugendfreie schöngefärbte Genesis ihrer Kultur zu erklären. (Wir sind das CNN der Favela, wir singen nur so explizit über Sex, damit wir die Kids aufklären und Teenagerschwangerschaften verhindern usw. usf.) Ich hatte es also mit drei Jugendschützern, Ehren- und Familienmännern zu tun, denen nichts ferner liegt, als mit ihren Texten zu Schweinereien zu motivieren und am Ende auch noch Verbrechen zu glorifizieren. Nein, das tun sie nicht, so wahr ihnen Gott helfe. Mit dementsprechend rügenden Blicken wurde auch der Kellner bedacht, als seine Aufmerksamkeit für alle Anwesenden bemerkbar kurz auf dem Rand meiner Jeans-Short ruhte, da man auf der Rückseite meines Körpers ein Ministück meiner schwarzen atmungsaktiven Sportunterhose hervorblitzen sah.
Da die edukative Ehrenmensch-Stimmung schon auf mich abgefärbt hatte, wollte ich zur Beschwichtigung der Situation beitragen, wusste aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es im brasilianischen Portugiesisch ein Spezialvokabel für Popo gibt. Culo, aus dem Spanischen bekannt als Arsch, bezeichnet in diesen Breiten nur das Arschloch. Statt eines lockeren „Lasst ihn doch, mein Arsch ist für dieses Land sowieso zu klein“, um Aufmerksamkeit zu kriegen, sagte ich etwas in der Art: „Mein Arschloch ist zu eng für dieses Land.“ Der darauf folgende Lachorkan überzeugte alle Anwesenden, dass es keinen Sinn hat, der vermutlich seriösen weißen Tante den Ehrenmann vorzuspielen, weil sie genauso wenig seriös wie man selbst ehrenhaft war. So habe ich durch mein zu enges Arschloch ein paar Zentimeter Eurozentrismus hinter mir gelassen, und ich hatte noch sehr viel Spaß mit unehrenhaften Menschen in den Hinterhöfen von Rio, ohne dass mich irgendein Aktant dieser angeblich so sexualisierten und gewalttätigen Kultur ficken oder ausrauben wollte.
Twerk your way to freedom!
Es macht einen Unterschied, ob sich Dancehall Queens in Tivoli Gardens, Kingston mit allem, was ihre Vagina an Stamina hergibt, in Choreografien bekriegen oder ob ein Beatkolonialistendouchebag wie Diplo unterbezahlte Damen schwarzer Hautfarbe vor grölenden Landbuben im VAZ St. Pölten im Käfig mit ihren Nippeln Kreise ziehen lässt.
Die Musik von DJ Funk, einer der Originators von Chicago Ghetto House, genauso wie der darauf zurückgreifende Footwork von RP Boo, kommt aus einer Community, der wegen ihrer Hautfarbe oft Autonomie über ihren eigenen Körper verweigert wird. Bei diesem Teil körperfixierter Bass Culture und den damit verbundenen Tanzstilen geht es um Körperbeherrschung, Frauen genauso wie Männer gewinnen ihre Autonomie am Dancefloor zurück. Spielend-sexuelle Bewegungen haben dabei mit Beherrschung zu tun und unterliegen einer gekonnten und geübten Tradition. Am 23. Oktober gilt: Bitte niemanden in ihrem Namen wahlweise befreien oder beschützen wollen vor vermeintlichem Schmutz, Schund und repetitiven Juke-Aufforderungen wie „Huren werft eure Kleidung ab, Huren macht euch nackt!“.
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Die Herkunft dieser Vocals und Bewegungen liegt im Empowerment und wird problematisch, wenn sich weiße Fantasien und Projektionen damit kreuzen. Im Fall von hypersexuellem Nachäffen oder Black-Acting von Weißen gilt: Man ist nach dem Verlassen des Dancefloors nicht derselben Art Profiling unterstellt.
You Fake it to Make it
Mike Q ist Gründer des Labels Qween Beat und einer der bekanntesten DJs der heutigen Vogue- und Ballroom-Szene, die ihre Wurzeln in einer schwulen afro- und lateinamerikanischen Tanzszene der 80er hat. Ein großer Teil der Szene dreht sich um Wettbewerbe, die zwischen verschiedenen Vereinigungen (Houses, Families, die oft nach Modehäusern benannt wurden) ausgetragen werden. Oft wird diese Kultur deshalb im Nachhinein als oberflächlich bewertet, tatsächlich wird sie aber wohl ihrer Aneignung durch Kulturindustrie-Tyrannosauruse wie Madonna gleichgesetzt oder es werdendie eigentliche Wurzeln dieser expressiven Ausdrucksweise vergessen:: Wenn man wegen seiner Sexualität, Hautfarbe oder seines Geschlechts der Gesellschaft nichts bedeutet, keine Arbeit und kein Geld hat, galt: Fake it to Make it, spiel die Bourdieu-Karte der feinen Unterschiede aus!
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Better appropriate pop than copy subculture: Beispiele für den Missbrauch der ästhetischen Selbstinszenierung von Minderheiten durch die Kulturindustrie finden sich wie Erdnüsse in einem Snickers. Rihanna übernimmt GHE20G0TH1K, ohne auf die Kultur zu verweisen, entleert und verwüstet die Sprache des Stils und zieht wie ein Make-up-Tornado auf Meth weiter. Die von Venus X gegründete Partyreihe, die als Empowerment- und Austausch-Ort für Schwule, Braune, Gender Fluidity, queer Empowerment und viele andere Minderheiten begann, ist mittlerweile ein politisches Movement. Viele Ideen dahinter sind nicht direkt neu, der Unterschied zur blinden Aneignung einer Rihanna ist Respekt und Aufklärung gegenüber möglichen Vorreiter*innen. Das Thema des Elevate Festivals 2015 ist „Creative Response“ und steht dabei ebenso für Kollektivität. Man sucht und initiiert kreative Lösungen für Probleme unserer Zeit. Längst beschränkt sich dieser Aktivismus nicht mehr auf politische oder soziale Arbeit, sondern findet auch im und um das Musikprogramm statt. „Art is special because of its ability to influence feelings as well as knowledge“, sagt Angela Y Davis. Venus X wird am 23. Oktober am Elevate Festival unter anderem von RP Boo, DJ Funk, Mike Q, BokBok und DJ Ripley aka Larisa Mann vom Label Dutty Artz, die auch beim Elevate-Diskursprogramm als Vortragende mitwirkt, begleitet.
Text: Ein Erlebnisaufsatz mit Beiträgen von Natalie Mathilde Brunner und Marlene Stefanie Engel.
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