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Die italienische Komponistin Caterina Barbieri im Interview

Als wäre sie aus der Zeit gefallen, schafft Caterina Barbieri es mit hypnotisierenden Stücken, die frühe Minimal Music in unsere Zeit zu übersetzen. Wir fragen die in Italien geborene Komponistin nach ihrer Faszination für modulare Synthesizer, ihren Einflüssen und den Zusammenhang von Technologie und musikalischer Autorenschaft.


Interview: Shilla Strelka
Erscheint auch in gedruckter Form im neuen Elevate Magazin.

 

Shilla Strelka: Du hast in Bologna klassische Gitarre und elektro-akustische Komposition studiert und eine Residency im EMS in Stockholm gehabt, wo du zum ersten Mal dem Buchla-Synthesizer begegnet bist. Die Möglichkeit, Schallwellen zu erzeugen und zu modulieren, versetzt dich als Komponistin in eine andere Position. Es heißt, in das Klangmaterial selbst vorzudringen und bedeutet so einen komplett anderen Grad an kreativer Freiheit.

Caterina Barbieri: Ja, ich würde sagen, dass die Erfahrung mit dem Buchla mir wirklich geholfen hat, mein kreatives Potenzial freizusetzen. Es hat sich alles ziemlich natürlich ineinandergefügt. Für mich war es wie ein Wunder: Zum ersten Mal war nicht ich es, die die Musik gespielt hat, es war die Musik, die mich gespielt hat. Das Control-Panel des Synthesizers funktionierte als Tor zu einem bis dahin verborgenen inneren Vermögen. Was für ein großartiger Zauber!

Dein Sound ist sehr elegant und reduziert. Er erinnert an Minimalisten wie Steve Reich oder frühe elektronische KomponistInnen wie Laurie Spiegel. Haben dich die Kompositionsmethoden des Minimalismus schon interessiert, bevor du begonnen hast, mit Synthesizern zu arbeiten?

Danke. Ja, ich war schon immer an minimalistischer Musik interessiert, und das Hörerlebnis des frühen Minimalismus war für mich wie der Brückenschlag in die elektronische Musik. Ich denke immer noch, dass diese Komponisten damals schon elektronische Musik gemacht haben, allerdings ohne elektronische Geräte zu benutzen. Wie visionäre Vorboten haben sie die Musik der Maschinen vorweggenommen, indem sie kompositorische Methoden entwickelt haben, die später von vielen verschiedenen Stilen der elektronischen Musik übernommen wurden, hauptsächlich basierend auf der Erforschung der Wiederholung und ihrer psychophysischen Effekte, wie sie im Drone, Techno, Ambient usw. Anwendung finden.
Ich denke, dass das Aufkommen elektronischer Geräte eine bestimmte Art zu komponieren vorgegeben habt, die bereits in der minimalistischen Ästhetik angelegt war, diese weiterentwickelt und auf die Spitze getrieben hat. Das ist das Ergebnis einer transkulturellen Verstrickung verschiedener Musiktraditionen, die von afrikanischen Polyrhythmen bis zu hindustanischer Philosophie reicht.
Meine Arbeit mit Synthesizern hat definitiv mein musikalisches Denken mitgeformt. Ich denke, dass die Art, wie eine Maschine gebaut ist, immer die kompositorische Gestalt der Musik beeinflusst. Maschinen entwickeln Wege, an denen entlang sich Kreativität bewegt. Sie werden zu räumlich-zeitlichen Vektoren, die durch die Grenzen und Stärken der Maschinen definiert werden. Man muss sich nur überlegen, wie Computer uns auf einmal die Möglichkeit geben, mit extrem schnellen oder extrem langsamen Tempi zu arbeiten und dabei Temporalitäten in der Musik entwickeln, die vorher unvorstellbar waren. Es ist z.B. mit einer bestimmten Programmiersprache möglich, eine Klangmodulation zu erzeugen, die sich innerhalb von Tagen abspielt, bei dem sich das Klangmaterial so verändert, dass es sich jenseits der menschlichen Wahrnehmung abspielt!

In deinem Pressetext heißt es, dass du deine „musikalische Praxis als integratives, kognitives Feedback zwischen Mensch und Technik“ verstehst. Welchen Unterschied macht es, mit einem Vintage-Modular-Synth zu arbeiten im Vergleich zu einem Plug-in, der diesen auf dem Laptop simuliert?

Es macht einen großen Unterschied! Es ist ein ziemlich komplexes Phänomen, das man hier erklären müsste, und es gibt viele Aspekte zu berücksichtigen. Erstens haben frühe, modulare Systeme diese unvergleichliche „Aura“, die aus der Besonderheit ihrer physischen Bestandteile und der Art, wie sie gebaut sind, resultieren, einschließlich der Instabilitäten, ihrer Fragilität und der Unvorhersehbarkeit ihrer Verhaltensweisen. Das ist es, was diese Instrumente einzigartig macht und zu der komplexen Qualität ihres Klangs führt. Ich denke, dass die Körperlichkeit dieser Instrumente und die Möglichkeit, die Musik in einer aktiven und kontinuierlichen gestischen Tätigkeit zu erfahren, den Unterschied ausmachen. Diese Maschinen laden uns dazu ein, sich auf die Klänge nicht nur mit unseren Augen, sondern mit unserem ganzen Körper einzulassen. Das hat auch eine weniger visuell orientierte Gestaltung zur Folge und somit eine weniger horizontal-linear-narrative musikalische Zeitlichkeit, was für viele von uns ziemlich befreiend sein kann. Solch ein komplexes Phänomen wie Musik kann nicht nur auf einen der menschlichen Sinne reduziert werden – deshalb bin ich der Meinung, dass die musikalische Erfahrung umso hochwertiger ist, je ganzheitlicher sie ist. Ich denke, dass all diese Aspekte dem Musikmachen mit diesen Geräten eine Art von Wahrhaftigkeit verleihen. Diese Instrumente zeigen dir unmerklich und doch konsequent die Komplexität, den Reichtum und die Qualität, die so eine musikalische Erfahrung ausmacht.

Du bist Teil der progressiven Musikszene, aber dein musikalisches Bekenntnis zu Schönheit und dein Vertrauen in klassische Harmonien und ausgeglichene Komposition sind relativ selten in der experimentellen Musik. Du hast schon öfters erwähnt, dass du dich für Musik als eine Form von Meditation interessierst. Könntest du ein paar KünstlerInnen nennen, die dich in diesem Zusammenhang inspiriert haben?

La Monte Young, Duane Pitre, Laurie Spiegel, Jung an Tagen, Vivaldi, Lorenzo Senni, Alessandro Cortini u.v.m.

Deine Arpeggios erinnern mich auch an Kompositionen von Bach. Sie sind auf ihre Art sehr klassisch gehalten. Gleichzeitig assoziiere ich sie mit dekonstruiertem Techno, als wäre es eine langsamere, melodischere Version von Mark Fell, aber trotzdem edgy. Es ist, als würdest du durch die Zeit reisen und verschiedene Sprachen in deine infiltrieren. Du hast Komposition studiert und gerade deine Abschlussarbeit zu Hindustani-Musik und Minimalismus geschrieben. Auch auf deinem aktuellen Mix für NTS-Radio kann man hören, dass du dich von allen möglichen Quellen inspirieren lässt.



Danke, ich liebe sowohl die Musik von Bach als auch von Mark Fell. Das ist ein sehr schönes Kompliment! Das Reisen durch Zeit und Raum in der Musik ist etwas, mit dem ich mich immer mehr beschäftige. Und es ist sehr befreiend! Ich versuche, all diese Einflüsse zu vereinen und keine Rücksicht auf zeitliche, räumliche und stilistische Grenzen zu nehmen. Ich gehe z.B. zurück zur Musik, die ich in meiner Jugend gehört habe – eine komische und scheinbar nicht zusammenpassende Mischung aus Barockmusik, Doom Metal und Shoegaze. In meinem letzten Mix für NTS wollte ich all diese verschiedenen Musikstile in einem einzigen Stück zusammenbringen. Etwa so, als könnte ich eine geteilte, unsichtbare Geometrie skizzieren, die all diese verschiedenen Arten von Musik, von West nach Ost, verbindet, aus der tiefsten Vergangenheit bis ins Jahr 2017.

Ich nehme an, du arbeitest an einem neuen Album?

Ja, ich bin zwar immer mehr mit Live-Auftritten und anderen Projekten beschäftigt, sodass es schwierig ist, die Produktion des neuen Albums abzuschließen, aber die Musik ist da und ich hoffe, dass es sie auch bald in physischer Form gibt!


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